Begegnungen – oder der Auftakt zur Atlantiküberquerung

10. November, 2017 – Gran Canaria, Kanaren

Emma (emmasailing.com) singt ein Lied über ihre Liebe zum Meer. Bald bricht sie zu ihrer Solo-Weltumsegelung auf.

Wenn wir morgens aufwachen, auf einer feuchten Wiese oder im warmen Sand, hinter Raststätten oder in einer verlassenen Berghütte, in weichen Gästebetten neu gewonnener Freunde oder im Schutz einer Stadtmauer, ist das was noch am selben Tag vor uns liegt, welchen Menschen wir begegnen, in welch wundersame, manchmal skurrile oder gar unheimliche Welten wir eindringen werden, fast immer so ungewiss wie die Aussicht auf den nächsten Schlafplatz. Dieser Eintrag handelt von ebendiesen Begegnungen und Momenten der letzten Monate. Er erzählt die Geschichte einer Weltumseglerin, von Schmuggler-Verfolgungsjagten, wundersamen Oasen und Robinson Crusoe Hütten, von Vogelsammlern und Verschwörungstheoretikern, von fliegenden Fischen und leuchtendem Plankton.

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Auf der Suche nach Wasser stoßen wir beim Wandern zufällig auf die bunte Oase von José. Inmitten staubtrockener Einöde hat sich der Hobbybotaniker und Sammler ein kleines Paradis geschaffen. 

„Ihr müsst Alles hinterfragen! Je tiefer ihr in das Kaninchenloch vordringt, desto gruseliger wird es!“ sagt Jason. Wir sitzen mit ihm, Anabel und dem kleinen Adrian beim Abendessen und diskutieren über die gezielte Manipulierung der Massen, die Flache-Erde-Theorie, Gravitationskraft und die Möglichkeit einer Umsetzung eines Perpetuum Mobiles. Jason hatte uns vor ein paar Tagen kurz vor Gibraltar eingesammelt und zum Abendessen eingeladen. Jetzt sitzen wir schon zum vierten Abendessen in Folge mit der ganzen Familie am Tisch…uns gefällt es hier einfach zu gut und die täglichen Verlängerungen der Einladung nehmen wir dankend an.

Von Jasons und Anabels Wohnung aus, sind es nur zwanzig Minuten Fußmarsch bis zum Hafen in Gibraltar. Hier wollen wir ein Segelboot finden, welches uns der nächsten Reiseetappe „Südamerika“ näher bringt

Wir hängen unsere „Crew-Available“- Anzeige im Hafenbüro auf. Am nächsten Tag lernen wir David und seine Crew kennen. Mit ihnen  segeln wir bis nach Gran Canaria um dort ein Boot zu suchen, dass uns über den Atlantik nach Südamerika bringt.

Überwältigt von einem Gefühlscocktail aus Vorfreude, Aufregung und Neugierde, laufen wir den Pier entlang. Das Klingeln der schwankenden Segelmasten, der Geruch von Algen, die feuchte salzige Meeresluft…plötzlich ist alles so real…Vielleicht treiben wir schon bald dort draußen auf den tiefblauen Wogen Richtung Westen. Nachdem wir gestern im Hafenbüro unsere „Crew-Available“-Anzeige an die Pinnwand geheftet haben, wollen wir heute ein paar Segler direkt ansprechen. So lernen wir Davide und seine Bootscrew kennen. Sie wollen gemeinsam Richtung Kanaren segeln und von dort den Atlantik überqueren. „Ihr könnt gerne mitkommen! Wir haben noch genügend Platz wie ihr seht!“, sagt David als er uns durch das Boot führt. Zwei Tage später stechen wir gemeinsam mit ihnen in See.

 

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Als die Seekrankheit am dritten Tag endlich nachlässt, können wir das Segeln endlich genießen.

Am Tag der Abreise, brechen wir schon früh mit dem Boot auf und sind, obwohl die letzte ereignisreiche, fast film-reife Nacht noch tief in unseren Knochen steckt, vor Aufregung hellwach. Um den Weg zum Hafen möglichst kurz zu halten, hatten wir unser Nachtlager am Vorabend ganz in der Nähe an einem Strand aufgeschlagen. Zwar hatten wir schon von verschiedenen Leuten gehört, dass am andalusische Küstenabschnitt reger Schmugglerbetrieb herrscht, allerdings hatten wir nicht erwartet, selbst Zeuginnen dieses Treibens zu werden.

Wir hatten es uns, im Mondschatten der Mauer, am Strand gemütlich gemacht, als wir plötzlich von den Geräuschen mehrerer Motorboote und Fernfunk-Gesprächen aus dem Halbschlaf gerissen wurden. Drei unbeleuchtete Schnellboote rasten, knapp sechs Meter von unserm Schlafplatz entfernt, über die Wellen. Kurz darauf wurden die drei von den Scheinwerfern eines vierten, größeren Boots erfasst. Es brauchte einen Moment bis wir begriffen, dass wir gerade Augenzeugen einer Verfolgungsjagd waren. Die ganze Szene wurde noch absurder, als wir zusahen, wie sechs weitere unbeleuchtete Boote aus der Dunkelheit auftauchten und nun, da die Küstenwache abgelenkt war, ihren Geschäften in völliger Gelassenheit nachgehen konnten. Die Motoren wurden ausgeschaltet und auf den Booten wurden quadratische Pakete ausgetauscht. Kurze Stille. Dann Schüsse aus der Ferne. Die Jagd zwischen Polizei und Schmugglern schien zu eskalieren. Spätestens jetzt war an Schlaf nicht mehr zu denken. Es war bereits sechs Uhr morgens, als wir uns unbemerkt davon stahlen und uns in den Schutz der geschäftigen Stadt zurück zogen…Einmal kurz Durchatmen und weiter zum nächsten Abenteuer: Unsere Crew wartete bestimmt schon.

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Unsere Bootscrew: Marcello, Julia, Lisa, David

Die ersten Tage auf See … Wer nicht gerade den Pflichten der Bootsgemeinschaft nach gehen muss – Navigieren, Segel-Richten, Kochen – der verkriecht sich in der Koje und schläft. So ziehen sich die ersten beiden Tage dahin, zäh wie Kaugummi, ohne das viel passiert, ohne das mehr als das Nötigste gesprochen wird.
Wie oft habe ich am Meeresufer gestanden und sehnsuchtsvoll – die Seefahrerer um ihre Freiheit beneidend – den Booten hinterher geträumt….und jetzt ist das Einzige womit sich meine Gedanken beschäftigen können, das gegessene Frühstück nicht über die Reling zu kotzen.

Ab dem dritten Tag ändert sich die allgemeine Verfassung, langsam kehrt Leben auf das Boot zurück. David hängt die Angel aus, Marcello repariert den Stromgenerator und Fred brät sich ein paar Frühstückseier in der Bordküche an.
Ganz langsam, stellt sich so etwas wie ein Bootsalltag ein. Allerdings ist die Liste der täglich zu erledigenden Aufgaben schnell erschöpft, sodass viiiieeel Zeit bleibt, um Nichts zu Tun. Kleine Ereignisse wie die Delphinschule, die unser Boot begleitet, der fliegende Fisch, der sich auf unserem Deck verirrt, ein kleiner Vogel, der sich auf der Angelrute ausruht oder der leuchtende Plankton in der Nacht, nehmen die ganze Aufmerksamkeit ein und werden zu unvergesslichen Momenten.

 

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Marcello, der gelernte Kapitän, erklärt uns die alten Methoden der Seenavigation.

Nach fünf Tagen erreichen wir die Insel Gran Canaria. Mit schwerem Herzen, entscheiden wir uns, David und Marcello in Las Palmas zu verabschieden und ein anderes Boot zu suchen, welches direkt das südamerikanische Festland ansteuert. Von der Karibik käme man nur schwer Richtung Festland, hatten uns einige SeglerInnen ans Herz gelegt.

Bevor wir uns erneut auf Bootssuche begeben, wollen wir noch ein paar Tage auf der Insel verbringen, um ein paar organisatorische Dinge zu erledigen. So steuern wir ein kleines Fischerdörfchen, vierzig Kilometer westlich der hektischen Hauptstadt Las Palmas, an. Die kalkweißen Häuser des Dorfes liegen schon in abendlichem Rot als wir ankommen…viel Zeit bleibt uns nicht mehr, um noch vor Einbruch der Dunkelheit ein Nachtlager zu finden.

Wir überqueren gerade einen staubigen Platz, als wir ein leises „Shhh. Hallo. Hier!“ hören. Zu sehen ist niemand. „Hier!“ ertönt es ein zweites Mal. Die Stimme scheint aus dem hohen weiß, blauen Boot dort hinten zu kommen. Wie ein großer gestrandeter Fisch, der seinem natürlichen Element entrissen wurde, liegt das Boot unbeholfen auf steinigem Untergrund zwischen zwei sandigen Hügeln. Als wir auf Zehenspitzen stehend über die Bootskante ins Innere schauen, guckt uns der Besitzer der Stimme mit einem breiten Grinsen an. „Ihr seht aus als würdet ihr einen Platz zum schlafen suchen!“ „So?“, entgegnen wir ihm etwas misstrauisch.
Auf kleinstem Raum hat er sich eine Art kleines Freiluft-Wohnzimmer eingerichtet; ein roter zerschlissener Schirm schützt ihn tags vor der Sonne, links steht eine gerahmte Malerei mit Meeresmotiv. Wir kommen ins Gespräch und das anfängliche Misstrauen ist schnell verflogen. „Ich wohne schon eine ganze Weile hier.“ erzählt er uns „Da es hier kaum regnet, lässt es sich so ganz gut leben.“ Gerne würden wir seinen Geschichten weiter lauschen, aber die hereinbrechende Nacht treibt uns weiter. Hinter den Klippen am Meer soll es eine unbewohnte Palmenhütte geben wo wir übernachten können, verrät er uns als wir uns verabschieden.

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Julia auf dem Weg Richtung Puerto de las Nieves, einem kleinen Fischerdörfchen auf Gran Canaria.

An der Küste des Dörfchens erstrecken sich karge Steilhänge, die schroff ins Meer abfallen. Während wir seiner Wegbeschreibung über einen schmalen Küstenpfad folgen, denke ich an all unsere Reisebegegnungen und das ständige Durchbrechen der Fremdheit, die tägliche Konfrontation mit eigenen Vorurteilen. Das „Andere“ wird plötzlich zum Bekannten, die Angst vor dem „Fremden“ verschwindet.

Der Hirte Antonio warnt uns vor den gefährlichen Erdrutschen an den Steilhängen der Küste. Zum Schlafen sei es unten in der Palmenhütte sicherer.

Ein paar hundert Meter weiter, auf einer Anhöhe, begegnen wir einem Hirten dessen Tiere – ein wollenes dickes Schaf und zwei kleine Ziegen – ihm auf Schritt und Tritt folgen. Das Quartett bleibt vor uns stehen. Acht Augen sehen uns neugierig und erwartungsvoll an. „Wo geht’s denn hin?“, fragt der alte Mann freundlich, während er aus dem Plastikeimer, den er mit sich trägt, eine handvoll getrocknetes Gras herausnimmt und den Tieren zum fressen hinwirft. Er langt ein zweites Mal hinein und dreht das selbe Kraut beiläufig in ein längliches dünnes Papier. „Nun?“, fragt er und zündet den Joint an. „Wir sind auf der Suche nach einem Schlafplatz. “ erwidern wir amüsiert. Daraufhin deutet er mit dem Finger auf eine Ansammlung von Palmen unten in der Bucht. „Die Palmenhütte?“ „Ja, genau. Die ist schon länger nicht mehr bewohnt.“ Dass das halbe Dorf bereits schon jetzt weiß, wo wir Nachts schlafen, bereitet uns etwas Unbehagen. Als wir unsere Bedenken äußern, versichert er uns, dass es hier absolut sicher sei. “Falls etwas sein sollte, könnt ihr jederzeit zu meiner Familie kommen. Aber keine Sorge, hier kennt Jede Jeden, hier wird euch nichts passieren.“

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In dem spartanisch eingerichteten Palmenhaus kommt fast ein Gefühl von Heimat auf; wir verbringen die Tage mit lesen, schreiben…

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…und mit neuen Freunden. Hier mit Emma zum gemeinsamen Stockbrot-Essen.

Wir sitzen mit Emma in unserem neuen „Zuhause“ am Lagerfeuer und essen Stockbrot als sie uns von ihrer Solo-Weltumsegelung erzählt. Vor ein paar Tagen hatten wir sie am Hafen kennen gelernt und sie zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. „Ich will die Einsamkeit kennen lernen.“ antwortet sie auf die Frage, warum sie die Welt alleine umsegeln möchte. „Ich glaube, dass ich das Gefühl der Einsamkeit erleben möchte, um meine Grenzen und damit vielleicht mich selbst besser kennen zu lernen.“ Im Schein des Feuers reden wir über das Unterwegssein, über Begegnungen und das Überwinden eigener Grenzen. Das Reisen…irgendwie ein ständiger Zustand der Grenzerfahrung, der Unsicherheit, man hat das Bekannte verlassen und setzt sich täglich dem Unbekannten aus. Wahrscheinlich liegt genau darin die Faszination.

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Das Leben in unserer temporären Boot-WG: Musik machen, Reparaturarbeiten, Kochen, Fischen, Selgeln…Bis wir ein Boot gefunden haben, welches uns mit über den Atlantik nimmt, wohnen wir mit Emma auf ihrem kleinen Boot „Caprice“.

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