Gelebter Widerstand- die ZAD in Notre-dame-des-Landes

15.August 2017- Notre-Dame-des-Landes, Frankreich

„Ihr seid Euch sicher, dass Ihr in die ZAD möchtet?“ fragt uns Delphine mit skeptischen Blick, nachdem wir ein Stück in ihrem Auto mitgefahren sind. Warum sie dabei so schauen würde, wollen wir wissen. „Die ZAD ist voll von wilden Anarchisten, die den ganzen Tag nur trinken und Drogen nehmen“ bekommen wir als Antwort zurück.

Auf dem Weg nach Notre-Dame-des-Landes bekommen wir einige solcher Geschichten über die ZAD zu hören. Die Leute würden dort ohne Regeln und ohne Gesetze hausen, seien verwahrlost und aggressiv. Wir sollen unter keinen Umständen alleine in die Wälder gehen, denn dort herrsche das Chaos. Außerdem hat es auch schon ein paar Vergewaltigungen gegeben, fügt Delphine hinzu. Nach all diesen Geschichten sind wir gespannt, wie die Realität der ZAD wohl tatsächlich aussehen würde.

Wir sitzen noch in dem Auto von Delphine, als wir an den ersten Barrikaden vorbei, in die ZAD hineinfahren. Auf der „Rue de Chicanes“ zeugen ausgebrannte Autowracks und Stapel aus alten Gummireifen und abgelegten Holz noch von den Auseinandersetzungen mit der Polizei, die hier bereits stattgefunden haben, oder noch erwartet werden. Sie sind Teil einer langen Geschichte, die diese besetzte Zone bereits hinter sich hat.

Die Barrikaden sollen die Polizei am Eindringen in die ZAD hindern

Kaum zwanzig Kilometer von Nantes entfernt, zwischen Notre-Dame-des-Landes und Vigneux-de-Bretagne erstreckt sich das ca. 1700 Hektar große Gebiet der ZAD (Zone A Défendre).

Der französische Staat plant hier mit dem Großinvestor AGO-VINCI ein Flughafenprojekt, dessen Umsetzung durch den Widerstand von AnwohnerInnen, BesetzerInnen und AktivistInnen bisher verhindert wurde.

Karte der ZAD, auf der alle besetzten Farmen und selbstgebaute Hütten vermerkt sind.

Wir lassen die Barrikaden hinter uns und biegen in eine kleine Seitenstraße ein. Hier begegnen wir Celine und Cecile, die sich angeregt unterhalten. Ob sie wüssten, wo wir einen Platz zum übernachten finden können, fragen wir sie. Sofort werden wir freundlich eingeladen, ein paar Tage bei ihnen zu verweilen.

Über einen versteckten Pfad, durch Brombeerhecken hindurch, erreichen wir ein offenes Feld. Hier stehen Wohnwagen und bunte Jurten. Dann gehen wir über eine kleine Brücke in den Wald hinein und stehen vor der Gemeinschaftshütte von „La noue non plus“. Die kleine Holzhütte ist eine der vielen selbstgebauten Hütten, die von den BesetzerInnen überall in der ZAD verteilt aufgebaut worden sind.

In der Hütte von La noue non plus verbringen wir gesellige Abende mit den BewohnerInnen

Celine und Cecile zeigen uns einen gemütlichen Platz in der Nähe ihrer Hütte, wo wir unser Zelt aufschlagen können. Schnell lernen wir die anderen BewohnerInnen kennen. Jean, Luke, Amalia, Francoise und Ester laden uns zum gemeinsamen Abendessen ein. Draußen am Tisch schneiden wir frische Zwiebeln, Tomaten und Zucchini, die am Nachmittag im kollektiven Garten geerntet wurden. Jean unterhält uns dabei ganz vergnügt mit seiner Geschichte eines verrückten Kapitäns, mit dem er einst über den Atlantik gefahren ist.

Später am Abend kommen wir ins Gespräch über die Geschichte der ZAD. Die Bewohner*innen erzählen uns von der großen Räumungsaktion, der „Operation Cäsar“, im Winter 2012. Damals wurden von etwa 2000 Polizist*innen viele besetzte Farmen und Hütten zerstört. Die Besetzer*innen verbrachten die langen, kalten Nächte draußen im Wald und hielten die Stellung gegen die Polizei. „Als die meisten Hütten und Häuser zerstört waren, haben wir uns im Wald versteckt und dort in wenigen Tagen neue Hütten aufgebaut. Das Gebiet ist so weitläufig, dass die Polizei Probleme hatte, alles zu zerstören. Wenn sie auf der einen Seite die Räumungsaktion durchgeführt hatten, haben wir auf der anderen Seite einfach alles wieder aufgebaut.“

 In den kleinen Holzhütten kommen die BewohnerInnen zum essen, diskutieren und geselligen Abenden zusammen.

Am nächsten Morgen packen wir zwei leere Plastikkanister auf ein Transportfahrrad und gehen zur zentralen Wasserstelle, um sie aufzufüllen. Bis auf ein paar Ausnahmen gibt es in der ZAD keinen Strom und fließendes Wasser. Auf dem Weg zur Wasserstelle schlägt uns Jean vor, nach dem Frühstück in der Fahrradwerkstatt vorbei zu schauen. Dort könnten wir uns aus Schrottteilen alter Fahrrädern ein eigenes zusammenbauen.

Mit abgelegten Einzelteilen, zimmern wir uns ein Fahrrad zusammen

Mit unserem neuen Gefährt können wir nun das gesamte Gebiet der ZAD erkunden. Wir fahren vorbei an großen Gemeinschaftsgärten, durch Felder und Wiesen, vorbei an alten Bauernhäusern und Farmen die mit großen Flaggen behangen sind: „Non al aeroport“ steht dort in großen Lettern geschrieben. Wir radeln vorbei an skeptisch dreinblickenden Kühen und hier und da begegnen wir den Bewohner*innen der ZAD, die uns freundlich grüßen. Unterwegs entdecken wir architektonische Wunderwerke aller Art: selbstgebaute Baumhäuser, Jurten, Behausungen aus altem Metall und Stroh sowie kreativ gestaltete Holz- und Lehmhütten.

Als wir in einen schroffen und holprigen Waldweg abbiegen, lockert sich das Hinterrad eines der Fahrräder und fällt heraus. Wir schauen uns an und müssen laut lachen. Bei der Montage des Hinterreifens hatten wir wohl eine wichtige Schraube vergessen. Darin, dass hier nichts perfekt oder neu, nichts festgeschrieben oder geprüft wird, macht für uns den Zauber dieses Ortes aus.

Bereits in den 70er Jahren wehrten sich die ansässigen Landwirte gegen den geplanten Flughafen.

In den darauffolgenden Tagen lernen wir das Leben und die Menschen im ZAD näher kennen. Wir pflegen das Gemüse im Gemeinschaftsgarten, backen Steinofenbrot in der Backstube von „Bellvue“ und helfen beim Bau der „Ambazada“, einer Art Scheune die als Raum für Workshops und Versammlungen dienen soll.

Schnell merken wir, dass gesellschaftliche Normen und Zwänge hier offengelegt und infrage gestellt werden. Als wir zum Beispiel nach einem gemeinsamen Mittagessen mit einer Freundin die Teller spülen, kommt Raphael zu mir und sagt: „Ihr steht hier mit drei Frauen an der Spüle? Das geht gar nicht. Magst du dich zu den anderen setzen, dann übernehme ich den Stapel!“

 Die Schmiedewerkstatt bietet Raum für Kreativität

Die ZAD ist eine Art Laboratorium, um neue Formen des Gemeinschaftslebens auszuprobieren. Der politische Kampf verbindet Menschen mit unterschiedlicher sozialer, politischer und kultureller Herkunft. Farmer*innen und Aktivist*innen organisieren sich im täglichen Zusammenleben. Sie bewirtschaften das Acker- und Weideland, backen Brot, stellen Käse und Joghurt her und legen kollektive Gemeinschaftsgärten an, dessen Obst und Gemüse jeden Freitag auf dem „Non-Marchè“ gegen Spende verteilt wird.

Das Zusammentreffen der verschiedenen Gruppierungen bringt aber auch Konflikte mit sich. Es gibt Streitigkeiten und Probleme, wie zum Beispiel die Auseinandersetzungen zwischen Landwirten und Antispeziesisten.Sie streiten darüber, ob es in der ZAD Tierhaltung geben darf und ob die Felder bewirtschaftet oder der Natur überlassen werden sollten.

Im kollektiven Garten werden Obst und Gemüse angebaut.

Am letzten Abend werden wir in die „Chevrerie“ eingeladen, um mit Lynn und den Anderen zu kochen und französischen Wein zu trinken. Wir diskutieren über die Zukunft der ZAD, wie es weitergehen soll, falls das Flughafenprojekt fallengelassen wird. Jede*r hat andere Vorstellungen, manche träumen von einem freien, autonomen Gebiet – es soll so weitergehen wie bisher. Andere sprechen davon, die ZAD zu verlassen, um andere Großprojekte an der Umsetzung zu hindern.

Es gibt viele Ideen und Vorstellungen, doch die Zukunft der ZAD ist ungewiss….

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