Per Anhalter durch Mittelamerika

Guatemala- 23. Juni 2019

Hinter der Grenze auf nicaraguanischer Seite werden wir von Lorenzo eingeladen. Er hat gerade Feierabend und überhaupt keinen Stress irgendwo hin zu müssen wie es scheint. Denn mit großer Begeisterung schlägt er vor, uns die Stadt Granada zu zeigen. Wegen ihrer kolonialen Architektur war die Stadt mal ein beliebtes Ausflugsziel, jetzt sieht es hier ziemlich leer aus. „Hier ist schon eine Weile nichts mehr los.“, erzählt uns Lorenzo. „Seit den Unruhen im letzten Jahr bleiben die Besucher aus.“

„Von Reisen per Anhalter wird (insbesondere Frauen) dringend abgeraten“

Hier sind wir also, in Mittelamerika. Von diesem Abschnitt des Kontinents hatten wir eine ganze Menge Horrorgeschichten gehört. Nicaragua, Guatemala, Honduras, El Salvador – allein die Namen rufen bei vielen schon ein Unwohlsein hervor.

„Was? Ihr wollt durch Mittelamerika trampen? Nehmt doch lieber den Bus!“, gaben sie uns viele Leute denen wir unterwegs begegnet waren als Ratschlag mit auf den Weg.

Und als wir dann noch einen Blick auf die Webseite des Auswärtigen Amtes geworfen hatten und dabei auf Aussagen wie „Von Reisen per Anhalter wird (insbesondere Frauen) dringend abgeraten. Aber auch die Benutzung von Taxis und Überlandbussen ist nicht ungefährlich“ und Im Falle eines Überfalles sollte kein Widerstand geleistet werden, da die Hemmschwelle der Täter niedrig ist.“ oder „ Klären Sie Ihre Reiseroute vor Reiseantritt über die guatemaltekische Tourismusbehörde ab und erbitten Sie ggf. Sicherheitsbegleitung.“ gestoßen sind, haben wir uns gefragt, was es mit all diesen Warnungen tatsächlich auf sich hat.

Es scheint, als tendieren wir Menschen gerne dazu, uns auf das Negative, Schreckliche und Hässliche zu konzentrieren und davon schneller und leichter überzeugt zu sein als von den positiven Geschichten. Vielleicht liegt es an der selektiven Berichterstattung der Medien, dem nicht erforschten Unbekannten, den Ängsten der Individuen oder Sensationslust wodurch „Wahrheiten“ kreiert werden, die oft weit von der Realität entfernt sind.

Denn oft sieht es vor Ort nämlich doch ganz anders aus. Und das war auch unsere Erfahrung auf dem Weg durch Mittelamerika.

„Die Schreckensbilder aus dem letzten Jahr haben sich bei vielen in die Köpfe eingebrannt, auch wenn es heute wieder ruhig ist.“

Wir fahren weiter durch einen langen Park an dessen Ende ein Bootsverleih liegt. Von hier aus kann man durch die Mangrovenwälder und zahlreichen Inselchen paddeln,

Gelangweilt sitzen ein paar Bootsvermieter auf ihren Plastikstühlen. Vor ihnen am Dock schaukeln leere Ruderboote auf den kleinen Wellen. Kaum sind wir ausgestiegen, stürzen die Männer auf uns zu, um uns eine Bootstour zu verkaufen. Mit erwartungsvollen Gesichtern schauen sie uns an. „No Gracias, muy amable“ – nein danke, sehr lieb von Euch – entgegnen wir den Männern, die sich inzwischen in einem Kreis um uns herum versammelt haben. Bei diesen Worten nicken sie uns traurig zu und schlurfen wieder zu ihren Plastikstühlen zurück.

„Die Schreckensbilder aus dem letzten Jahr haben sich bei vielen in die Köpfe eingebrannt, auch wenn es heute wieder ruhig ist. Das wirkt sich vor allem auf die Geschäfte der Kleinunternehmen aus.“ erklärt Lorenzo als wir wieder im Auto sitzen.

 

Eine Nacht im Restaurant

Allmählich fängt es an zu dämmern. Da es hier in Granada keinen ruhigen Ort zum Zelten gibt, fahren wir noch ein Stück mit Lorenzo aus der Stadt raus, bis wir zu einem großen Naturschutzgebiet kommen.

Bevor wir uns auf den Weg zu dem See machen, wollen wir in einem Restaurant noch unsere Wasserflaschen auffüllen. Als wir die Restaurantbesitzerin nach dem Weg fragen, schaut sie uns mit weit aufgerissenen Augen an. „Ihr wollt doch nicht etwa am See zelten?!“ Vor ein paar Jahren sei dort eine Touristin überfallen worden. Weil sie sich Sorgen um unsere Sicherheit macht, schlägt sie uns vor, das Zelt bei ihr im Restaurant auf der Terrasse aufzuschlagen.

 

Kleiner Abstecher in die Geschichte Nicaraguas vom Beifahrersitz aus

Zwischen Tischen und Stühlen bauen wir unser Nachtlager auf, verbringen eine ruhige Nacht und trampen am nächsten Morgen weiter nach Managua, der Hauptstadt von Nicaragua. Carlos, ein alter Mann mit wachen Augen sammelt uns ein.

Wir fahren die breite Hauptstraße entlang Richtung Zentrum der Stadt und fragen Carlos, was im letzten Jahr zu den Unruhen geführt hat. „Als Ortega, unser Präsident, bekannt gab die Renten zu kürzen, löste das großes Empören in der Bevölkerung aus. Die Leute versammelten sich landesweit um auf den Straßen zu demonstrieren. Die Antwort der Regierung war der Einsatz von Polizei, die mit scharfen Schusswaffen die Demos eindämmen sollten. Dabei wurden mehrere Menschen – ich glaube es waren fünfundzwanzig – getötet. Das löste eine noch größere Protestwelle aus und am Ende gab es mehr als 400 Tote.“ erzählt er.

Wie sich das entwickelt habe, wollen wir wissen. „Hui, da muss ich jetzt ein bisschen ausholen“ und Carlos beginnt zu erzählen:

Von dem in der Zeit des kalten Krieges durch die USA geführten  „Kampfes gegen den Kommunismus“, der zu der Instabilität des Landes beigetragen hat. Er erzählt von dem durch die USA eingesetzten Diktator Somoza, dem Bürgerkrieg im Jahr 1977  und der linksgerichteten sandinistischen Revolution, dem 1988 durch Ronald Reagan geführten Contra-Krieg, in dem durch die US-Regierung finanzierte Paramiliärs terroristische Überfälle auf die Landbevölkerung unternahmen, Minen legten, die Ernte verbrannten und Vieh stahlen, der ersten Präsidentschaft Ortegas und seiner Wiederwahl im Jahr 2006.

Die politische Situation in Mittelamerika bzw. ganz Lateinamerika ist komplex und ohne den gesamten geschichtlichen Hintergrund nicht einfach zu verstehen. In den eineinhalb Jahren, die wir hier auf dem Kontinent bereits unterwegs sind, erleben wir die Lebensrealitäten und Geschichten der Menschen, die nicht mit oben an der Spitze stehen, die mit den direkten Konsequenzen der jahrelangen Ausbeutung und Zerstörung der Natur zu kämpfen haben, an den Rand der Gesellschaft gedrückt oder von dieser negiert werden.

Es wäre zu einfach, die aktuellen politischen Gegebenheiten, bestehende soziale Ungleichheiten und hohe Kriminalitäts- und Gewaltraten ausschließlich der Unfähigkeit der Regierenden oder der Bevölkerung zuzuschreiben. Die Kolonialzeit und die bis heute anhaltenden postkolonialen Strukturen, die wirtschaftlichen Interessen westlicher Industrienationen und die imperialistische Politik der USA haben in der gesamten Region ihre Spuren hinterlassen.

 

„Rennt in zwei verschiedene Richtungen, damit wenigstens eine von Euch noch die Chance hat zu überleben.“

Von Managua aus werden wir von einer Truppe Männern eingesammelt, die gerade auf dem Weg zu einem Hahnenkampf sind. Einer von den Männern, der Beifahrer, ist stinkbesoffen. Schweißnasse Haarsträhnen kleben an seiner fettigen Stirn und tränende, von roten Adern durchzogene Augen treten aus seinem Schädel hervor.

Er sieht aus wie vom Teufel besessen und dreht sich vom Beifahrersitz zu uns nach hinten um seine diabolischen Prophezeiungen zu predigen: „El Salvador ist gefährlich, viel zu gefährlich um dort durch zu reisen. Stellt Euch darauf ein, dass sie euch da überfallen und ausrauben werden. Und wenn das passiert, dann lauft so schnell ihr könnt. Lauft weg. Rennt in zwei verschiedene Richtungen, damit wenigstens eine von Euch noch die Chance hat zu überleben.“

Das sagt er mit einer ernsten, rauchigen Stimme und seine blutunterlaufene wässrigen Augen schauen dabei wahnsinnig in unsere Richtung. Der Mann schafft es ziemlich gut, uns ein mulmiges Gefühl zu vermitteln. Ich weiß allerdings nicht, ob es seine eigene Präsenz oder die dunklen Vorhersagen sind, die das Gefühl auslösen. Nach einer kurzen Fahrt steigen wir aus.

Wir haben uns gerade von dieser etwas merkwürdigen Situation erholt als ein alter Mann auf seinem klapprigen Fahrrad vorbei kommt und ruft: „Hola Chicas, a donde van?“ – „Honduras y despues El Salvador“ – „ Ayyyy dann viel Glück. Gott beschütze Euch!“.

Geteilte Angst ist halbe Angst

Von unserem Standpunkt aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Grenzübergang nach Honduras und kurz vor Abenddämmerung werden wir von einem netten Ehepaar eingesammelt, das in dem kleinen Städtchen vor der Grenze Verwandte besuchen möchte. Mit Eintritt der Dunkelheit erreichen wir die Grenzanlage und laufen auf das Gelände, um nach einem Schlafplatz Ausschau zu halten.

In einem metallenen Container wo die erste-Hilfe Station untergebracht ist, stoßen wir auf die Krankenschwester Mariella, die heute für die Nachtschicht eingetragen ist.

Wir setzen uns zu ihr und reden über dies und jenes. Manchmal fühle sie sich einsam und sie gruselt sich nachts im Container, verrät sie uns. Und als wir sie fragen ob wir neben dem Häuschen unser Zelt aufschlagen können, nimmt sie unseren Vorschlag freudig an.

Der Container steht etwas abseits und ist nur durch das grelle Licht der Baustellenstrahler erhellt. Strom gibt es keinen. Und wenn ein Notfall zu behandeln wäre? „Dann habe ich eine kleine Lampe hier – aber wirklich nur für den Notfall!“

 

„Ich habe keine Horrorgeschichten zu erzählen, da muss ich Euch enttäuschen“

Wir verbringen eine ruhige Nacht und überqueren am Morgen die Grenze nach Honduras. Hier und da gibt es ein paar kleine Geschäfte, die Menschen lächeln uns freundlich zu. Nach den ganzen negativen Vorhersagen sind wir doch ein bisschen nervös, wollen uns davon aber nicht abschrecken lassen. Als wir unsere Stempel im Pass haben, laufen wir ein Stück an der Straße entlang und warten auf ein Auto, dass uns mitnehmen wird.

Schon wenige Minuten später hält ein LKW-Fahrer an. Ein alter, netter Mann, der bis nach Guatemala durchfahren will. Er sagt, dass er schon seit mehr als dreißig Jahren die selbe Strecke fährt. Etwas sensationslustig wollen wir ihm die Horrorgeschichten entlocken, die er als LKW- Fahrer hier bestimmt bereits erlebt haben muss. Doch er entgegnet uns nur schulterzuckend: „Ne, bisher ist noch nie was passiert. Ich wurde weder überfallen noch hatte ich irgendwelche unangenehmen Begegnungen. Da muss ich euch enttäuschen“.

„Es freut mich riesig, dass ihr hier seid!“

An der Grenze zu El Salvador steigen wir aus, weil wir das Land gerne langsam durch trampen und ein bisschen kennenlernen wollen. Von hier aus nimmt uns eine Gruppe von Nonnen hinten auf dem Pick-Up mit und wir fahren bis zur nächsten Großstadt. Bei einer netten Frau, die am Straßenrand ihren kleinen Essensstand aufgebaut hat, probieren wir ‚Pupusas‘- mit Käse gefüllte Maiztortillas – ein Nationalgericht in El Salvador.

Wir wurden mitten in der Stadt raus gelassen, also laufen wir die breite Hauptstraße entlang und halten dabei ganz beiläufig, ohne wirklich damit zu rechnen, dass uns mitten in der Stadt jemand einsammeln wird, unsere Daumen raus. Kaum eine Sekunde später hält ein Transporter mit großer, offener Ladefläche an, auf der schon eine Gruppe von Arbeitern sitzt. „Wohin geht´s?“ – Richtung Küste! „Alles klar, springt auf!“
Die Männer kommen gerade vom Bau und sind auf dem Heimweg. Sie lächeln und freundlich zu, widmen sich dann wieder ihren eigenen Gesprächen. Der Fahrer scheint es eilig zu haben. Wir rauschen durch die Berge, die warme Abendluft streift unsere Haut.

Eine Weile vergeht, bis der Transporter anhält und der Fahrer seinen Kopf aus dem Fenster lehnt und uns zuruft „Wir fahren geradeaus weiter. Hier könnt ihr absteigen, diese Straße führt weiter Richtung Küste!“ dabei streckt er seinen Arm aus und deutet auf die kleine Straße, die nach links abgeht.

Kurz darauf springen wir von der Ladefläche und gehen zu Fuß noch ein Stück in die nächste Kleinstadt, die ein paar Kilometer weiter vor uns liegt. Dort angekommen, ruhen wir uns auf einer kleinen Steinmauer aus, hinter uns auf dem Platz ist eine Horde Kinder in ein lustiges Hüpfspiel vertieft. Die Leute in dem Dorf sind freundlich und neugierig zu erfahren, was uns hier hin geführt hat.

Da taucht wie aus dem Nichts ein Mann auf. „Das sind Freundinnen von mir. Ich warte schon seit zwei Jahren darauf, dass sie endlich mal hier her zu Besuch kommen.“ sagt er kurzerhand zu der Frau, mit der wir in einer Unterhaltung vertieft waren. Dann wendet er sich zu uns „Es freut mich riesig, dass ihr hier seid!“ Der Mann wirkt wie ein Komiker und ist uns auf den ersten Blick sehr sympathisch. Schelmisch grinst er uns zu und wir steigen ein in das improvisierte Schauspiel. Für den Nachmittag sind wir nun also seine Bekannten aus Deutschland, auf die er schon seit langer Zeit gewartet hat. Er stellt uns bei fast allen Dorfbewohner*innen vor, unterhält uns mit lustigen, fantastischen Geschichten und gemeinsam klettern wir  auf den großen Aussichtsturm, der in der Dorfmitte steht.

„Vida loca“- nehmt Euch vor den tätowierten Männern in Acht!

Am nächsten Morgen wollen wir weiter Richtung Küste. Zwei Männer, José und Carlos, die gerade auf dem Weg zum Flughafen sind, laden uns ein. Wir sind uns alle auf Anhieb super sympathisch. José lebt seit ein paar Jahren in den USA und ist gerade auf dem Rückweg dorthin. „Die negative Wahrnehmung von El Salvador ist vor allem durch die sogenannten „Maras“ geprägt. Das sind Banden, die mit Waffenhandel, Prostitution, Drogenhandel, Autoschieberei, Menschenhandel, Diebstahl und Erpressung Geld machen. Morde zwischen den Banden sind an der Tagesordnung.“ erklärt uns José.

„Die Mitglieder tragen ganz auffällige Tätowierungen, daran kann man sie erkennen. Es gibt zwei große Banden in El Salvador- die Mara 18 und Mara Salvatrucha. Wenn ihr Männer mit tätowierten Gesichtern, einer tätowierten „18“oder „MS“ seht, rate ich euch, da am besten nicht ins Auto zu steigen.“ fügt Carlos hinzu.

„Was viele aber nicht wissen ist, dass sich die ersten Mara-Gangs in den USA gegründet haben. Das waren Kids aus Süd- und mittelamerikanischen Migrantenfamilien die in den USA unter ihrer Armut, Arbeitslosigkeit und Diskriminierung und den damit verbundenen geringen Zukunftschancen zu leiden hatten. Irgendwann begann die US- Amerikansiche Regierung dann, auch gering straffällig gewordene Flüchtlinge in ihre Heimatländer abzuschieben und da standen ihre Zukunftschancen natürlich auch nicht besser. Die Gangmitglieder machten dann weiter wie zuvor und sicherten sich mittels Macht- und Gewaltstrukturen, mit denen sie ihre Wohnviertel regierten, ihr Überleben.“ vertieft José das Thema.

„Ihr Überleben im materiellen Sinne. Es ist ein täglicher Kampf, der oft auch mit dem Leben bezahlt wird“ ergänzt Carlos

 

Verkehrte Welt: wir bekommen kein Geld geklaut, sondern geschenkt

Gegen 10 Uhr lassen uns die beiden an einer Kreuzung aus, von der aus sie zum Flughafen und wir weiter zur Küste fahren werden. „Es war eine Freude euch kennengelernt zu haben! Alles Gute für die weitere Reise.“ Mit diesen Worten streckt José mir die Hand entgegen, öffnet sie und hält mir einen 20 Dollarschein vor die Nase: „Wenn der Flug mir nicht im Rücken sitzen würde, hätte ich Euch jetzt zum Frühstück eingeladen. Also bitte, nehmt den Schein und geht damit was leckeres essen!“ Mit schüchterner Überwältigung nehme ich sein Geschenk an.

Erst als die beiden mit einem lauten Hupen davon rauschen, realisiere ich, was gerade vor sich gegangen ist. Wir hatten uns schon innerlich darauf eingestellt, dass uns hier in El Salvador womöglich etwas geklaut werden könne, aber nicht, dass wir Geld zum Frühstücken geschenkt bekommen würden. Verträumt lächle ich in die Richtung, in der die beiden vor ein paar Sekunden verschwunden waren und murmel ein leises „Danke…“

Wir frühstücken ausgiebig in einem kleinen Restaurant, in dem das Essen für beide allerdings nur ein viertel von dem geschenkten Geld kostet, stellen uns an den Straßenrand und haben innerhalb einer Sekunde wieder einen Hitch. Hinten auf der Ladefläche rauschen wir durch die heißer werdende Morgenluft. Die Sonne brennt bereits unbarmherzig auf uns herab. Da kommt es uns ganz gelegen, dass wir, als wir raus gelassen werden, auch an dieser Kreuzung nur fünf Minuten stehen müssen, bis wir wieder eingesammelt werden.

Wir sind uns schnell einig: Was das Trampen betrifft, bricht Mittelamerika alle Rekorde. Selten stehen wir länger als 5 Minuten am Straßenrand, bevor uns wieder jemand einsammelt.

‚El Tunco‘ und ein Häusschen im Grünen

Von ein paar Leuten hatten wir das kleine Küstenörtchen „El Tunco“ empfohlen bekommen. Dort steigen wir aus. Auch hier bietet sich wieder das gleiche Bild wie in Granada, der Kolonialstadt in Nicaragua. Cafés und Bars, Schmuckverkäufer*innen am Straßenrand, Surfschulen – aber keine Besucher*innen. Das Dörfchen ist wie leer gefegt. Die negative Fama hat auch hier ihre Folgen…

Am Abend halten wir Ausschau nach einem Plätzchen zum übernachten. Zuerst wollen wir am Fluss schlafen, der direkt ins Meer mündet, dann gehen wir doch noch zu Fuß eine verlassene Bergstraße hinauf- hier werden uns die Stechmücken nicht so überfallen wie in Wassernähe. „Huuuhh ob wir das überleben?“ schmunzeln wir uns zynisch zu. Nach ein paar Minuten erreichen wir eine Baustelle. Das kleine Betonhäuschen, von dem aus wir einen großartigen Ausblick aufs Meer haben, bietet eine einladende kleine Terrasse, auf der wir für heute Nacht unser Zelt aufschlagen.

Eine Einladung ins Farmhaus

Es vergehen noch ein paar Tage, mit vielen schönen Begegnungen, bis wir Guatemala erreichen.

Gegen fünf Uhr Nachmittags kommen wir in dem Grenzstädtchen Pedro de Alvarado an. Zum ersten Mal wird es uns hier ein bisschen mulmig zumute, denn es scheint, als würden recht viele Personen bewaffnet herumlaufen. Entweder steckt ein Kleinkaliber im Hosenbund, ein Jagdgewehr hängt lässig über der Schulter oder Macheten stecken in einer ledernen Scheide, die um die Hüfte gebunden ist. Mit misstrauischen, skeptischen Blicken werden wir beäugt, als wir mit den Rucksäcken durch die Siedlung laufen und uns an der Ausfahrt zum Trampen hinstellen. Hier warten wir einige Stunden, länger als gewöhnlich.

Gegenüber von uns ist an einer der Betonwände mit schwarzer Farbe „hospedaje“(Gästehaus) gekritzelt worden. Dieses heruntergekommene, vergitterte, kleine Betonhäuschen, vor dessen Eingang es sich schon eine Horde Straßenhunde bequem gemacht hat, könnte unsere Notunterkunft für diese Nacht werden. Zelten ist hier in diesem Dorf vielleicht keine so gute Idee.

Dann aber hält doch noch ein Auto an. Figlias und sein Cousin Ruán laden uns ein und nehmen uns noch ein Stück mit aus dem Dorf raus. Am Spiegel klemmt ein verblichenes Familienfoto, seine Frau und Tochter sind darauf zu sehen. Kaum haben wir ein paar Kilometer zurückgelegt, lädt er uns kurzerhand zu sich nach Hause ein und so landen wir bei Figlias und seiner Familie, auf einer kleinen Farm mitten im Grünen….

Letztes Kapitel: Eine Geschichte wird so erinnert, wie wir sie erzählen.

Allgemeine Geschichte wird oft so geschrieben, als seien die Könige oder Herrscherinnen, PolitikerInnen, Priester, Diktatoren und Machthaber die einzigen Akteure gewesen. Wir sprechen über die herrschende Klasse, Gesetze, Reformen, Entdecker – aber kaum über die Bevölkerung. Und so ist es auch in den Nachrichten. Unser Bild einer uns fremden Nation und deren Menschen ist von den Berichten geprägt, die von dort nach außen dringen.

Aber wie leben die Menschen ihren Alltag? Wer sind sie? Sind sie, nur weil sie einen korrupten Politiker / ( selten auch Politikerin) an der Spitze haben ALLE so? Repräsentiert die herrschende Klasse der USA das Gedankengut aller Bürger*innen? Sind ALLE Menschen in El Salvador gewaltbereit, nur weil es dort „Mara- Gangs“ gibt? Waren in Nazi- Deutschland ALLE Nazis (das werden wir oft gefragt, so haben es die anderen schließlich über uns gelernt) ?

Im Endeffekt sind wir ALLE nur Menschen- ob wir nun in Guatemala, Deutschland, Nigeria, Taiwan, Russland oder Kanada geboren sind, spielt doch gar keine Rolle. Denn in jedem Land, gibt es Menschen die Hass und Gewalt sähen und andere die Hilfsbereit, offen und liebenswürdig sind.

Wir haben es ohne Flugzeug bis nach Mexiko geschafft. Aber ohne die unzähligen Menschen, die uns in auf ihrem Boot, ihren Autos oder LKW’s mitgenommen, uns Essen, Unterkunft und Kleidung geschenkt, uns überrascht, umarmt, Mut gemacht, unterstützt oder einfach nur angelächelt haben, wäre das gar niemals möglich gewesen. Und dafür sind wir unglaublich dankbar! Das will ich explizit in diesem Beitrag nochmal unterstreichen,weil es all diesen und noch vielen anderen, denen wir nicht begegnet sind, unrecht tut, abgewertet, kriminalisiert, stereotypisiert oder dämonisiert zu werden, nur weil sie einer bestimmten Nation angehören.

Unsere Reise ist so erfüllend und schön wie sie ist, weil die Menschen, denen wir begegnen, sie dazu machen!

Dazu eine kleine Geschichte, die mir letztens jemand erzählt hat.

Ein Paar sitzt Rücken an Rücken gelehnt auf einer Treppe. Die Frau richtet ihren Blick auf eine grüne Wiese, das Gesicht wird von der Sonne gewärmt, kleine bunte Schmetterlinge fliegen an ihr vorbei. „Schau, wie schön die Welt doch ist.“ Der Mann, mit Blick zur grauen Mauer, die ein Schatten über ihn wirft antwortet: „Nein! Die Welt ist hässlich und grau!“. Wären beide nun bereit dazu, sich einmal um die eigene Achse zu drehen, würden sie die Perspektive des anderen verstehen und dadurch vielleicht auch die eigene Wahrnehmung ändern können. Aber die Mühe scheint ihnen zu groß, also bleiben sie so sitzen und halten an ihrer jeweiligen Überzeugung fest.“

Mehr lesen:

„Die offenen Adern Lateinamerikas“ von Eduardo Galleano „ Mexiko profundo“ von Guillermo Bonfil Batalla und „How the world works“ von Noam Chomsky, sind großartige Bücher und geben auf unterschiedliche Art und Weise einen Einblick in die komplexen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge Lateinamerikas

*-> „Die Beziehungen zwischen Lateinamerika und den Vereinigten Staaten sind seit dem 18. Jahrhundert geprägt durch den Gegensatz zwischen dem Unabhängigkeitsstreben der lateinamerikanischen Staaten und der Einflussnahme der USA auf deren Politik und Wirtschaft. Traditionell werden vor allem die Staaten Mittelamerikas von den USA als ihr „Hinterhof“ (backyard) betrachtet. Je nach außenpolitischer Orientierung der Vereinigten Staaten kam es dabei zu Phasen massiver Einflussnahme, bis hin zu von Washington, D.C. organisierten Regierungswechseln, Putschen gegen gewählte Regierungen und direkten militärischen Interventionen.
Besonders während des Kalten Krieges (ca. 1947–1989) befürchteten die USA eine Ausweitung des Kommunismus und stürzten in einigen Fällen demokratisch gewählte Regierungen auf dem amerikanischen Kontinent, die als links und/oder als unfreundlich gegenüber US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen eingestellt angesehen wurden. Dazu gehörten etwa der Staatsstreich in Guatemala 1954, der Putsch in Chile 1973 und die Unterstützung der Aufständischen im nicaraguanischen Contra-Krieg, wobei oft mit Unterstützung des Auslandsgeheimdienstes CIA rechtsautoritäre Regime oder Militärdiktaturen eingesetzt wurden. In den 1970er und 1980er Jahren wurde als Folge dieser Politik schließlich ein Großteil der Länder Mittel- und Südamerikas von rechtsgerichteten Militärdiktaturen regiert, die wegen ihrer antikommunistischen Ausrichtung von den USA gestützt und gefördert wurden, wobei man die massiven Menschenrechtsverletzungen durch die Regime billigend in Kauf nahm beziehungsweise sogar inoffiziell befürwortete (siehe auch Domino-Theorie und Schmutziger Krieg)…“ (…) Auszug aus dem Wikipediartikel Beziehungen zwischen Lateinamerika und den Vereinigten Staaten.

Translate »