Zwischen dem Sein und dem Nichts

10.09.2020 – USA

Neue Normalität

Es herrscht reger Verkehr an diesem Montagmorgen.
Wir stehen an der letzten Ampel vor der Autobahnauffahrt Richtung Mexiko-Stadt. Nachdem wir hier in Oaxaca die letzten Monate in Quarantäne verbracht haben, ist es das erste Mal seit dem Beginn der Pandemie, dass wir wieder per Anhalter auf der Straße unterwegs sind. Werden die Leute anhalten?

Wir wollen uns auf den Weg Richtung USA machen.
Bis zur Südgrenze der Staaten liegen noch einige Kilometer vor uns. 2600 Kilometer um genau zu sein. Es ist ein Tramp- Abenteuer ins Ungewisse denn am 21. März wurde die Grenze USA- Mexiko für Reisende geschlossen.

Jetzt ist es Ende August. Noch steht auf der Webseite der US- amerikanischen Botschaft, dass die Grenze in drei Tagen wieder öffnen wird. Vielleicht haben wir ja diesmal mehr Glück, als im März. Wir hatten versucht, einen Tag nach offizieller Grenzschließung noch in die USA zu kommen, aber die Grenzbeamten waren rigoros. Keine Chance.

Welche Wahl haben wir? In Mexiko bleiben und so lange warten bis sich etwas ändert? Und wenn es ein Jahr wäre? Oder zwei? Wie lange werden die Grenzen noch geschlossen bleiben?

Mit Tausend Fragen im Kopf brechen wir an diesem Montagmorgen auf.

Das Trampen läuft zäh. Nach einigen Stunden stehen wir immer noch an der selben Stelle. Sollen wir unsere Masken überziehen? Oder unser Gesicht zeigen, um Vertrauen zu wecken? Was erhöht die Chancen auf einen Ride in dieser „neuen Normalität“?

Irgendwann stoppt tatsächlich ein LKW. Der Fahrer bietet an, dass er uns bis zur nächsten Mautstelle mitnehmen kann. Doch nur wenige Minuten später sind wir in ein so interessantes Gespräch verwickelt, dass er sich dazu entschließt, uns doch noch bis nach Puebla mitzunehmen. Für uns ist das ein großes Glück, denn von Puebla aus sind es nur noch wenige Kilometer bis nach Mexiko Stadt. Dort wollen wir heute die Nacht verbringen.
Kurz vor Puebla lächelt er freudig in die Runde. „Wisst ihr was? Ich wohne in Mexiko-Stadt. Wenn ihr wollt könnt ihr mit mir in die Stadt fahren.“

Avocados und Handschellen

Zwei Tage später trampen wir weiter Richtung Norden. Unser nächster Stopp ist Guadalajara. Die ersten Kilometer legen wir schnell hinter uns. Roberto lässt uns 50 Kilometer vor der Stadt an einer Kreuzung raus. Er wird in die andere Richtung weiter Richtung Westen fahren. Kaum eine halbe Stunde später hält ein weißer Sportwagen an. Zwei Männer sitzen darin. Wir steigen ein.

Der Fahrer erzählt uns von seinen zahlreichen Reisen nach Europa. Und dass seine Tochter bald zum Studieren nach Spanien ziehen will. Was sie denn arbeiten würden? Die Antwort dauert ein paar Sekunden. „Wir handeln mit Avocados.“ „Ja genau. Wir verkaufen Avocados.“ bestätigt der Beifahrer. Sie lächeln sich zu. Avocados…
Wir nehmen die Story ohne weiteres Nachfragen an. Inzwischen haben wir gelernt, dass es hier in Mexiko manchmal besser ist, nicht weiter nachzufragen.
Unsere Intuition, dass an der Geschichte möglicherweise etwas faul ist, wird schnell bestätigt: Plötzlich tauchen die rotblauen Leuchten der Federalpolizei hinter uns auf und der Beamte gibt uns ein Zeichen zum anhalten.

Kaum kommt der Wagen auf dem Seitenstreifen zum stehen, tritt ein Polizist mit der Hand am Waffenabzug an die Fahrerseite des Autos und will die Papiere sehen. Von wem der Wagen sei, will er wissen. „Von einem Freund. Ähm, Nein,eher von einem Freund eines Freundes.“ Aber er habe den Namen vergessen, stottert der Fahrer. „Alle aussteigen!“

Währenddessen platziert sich auf der anderen Seite des Autos sein Kollege mit einer noch größeren Schusswaffe in der Hand. Obwohl die schwer bewaffnete Polizei hier in Mexiko zum Alltagsbild* gehört, haben wir uns nie wirklich daran gewöhnen können.

*(In Mexiko herrscht ein innerstaatlicher Krieg. Neben den Kämpfen um Landrechte, von denen vor allem die indigene Bevölkerung betroffen ist, herrscht in Mexiko ein Drogenkrieg. Dieser bewaffnete Konflikt zwischen Staat, Drogenkartellen und mexikanischer Bevölkerung fordert jährlich mehrere tausend Menschenleben.)

Wir steigen aus und das Auto wird von den Beamten intensivst untersucht. Nach etwa 20 Minuten holt der Polizist die Handschellen raus und die beiden Männer werden kurzerhand verhaftet. „Eigentlich müsstet ihr jetzt auch mit aufs Präsidium kommen. Denn normalerweise gilt, dass alle Leute die im Auto sitzen, mitverdächtig sind. Aber ich glaube Euch, dass ihr mit den Typen nichts am Hut habt. Also, packt euer Zeug und seht dass ihr hier wegkommt!“

Was genau los war, wissen wir bis heute nicht.
Zum Glück liegt nur etwa 50 Meter entfernt eine Tankstelle, an der wir schnell zwei Frauen finden, die uns mit nach Guadalajara nehmen.

Kleine weiße Abnehmpillen und Geister am Straßenrand

Nach ein paar Tagen in der Stadt machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Norden.

Das Trampen funktioniert überraschenderweise ganz gut. Mit den LKW-Fahrern legen wir jeden Tag fünf bis sechshundert Kilometer zurück.
Manche LKW- Fahrer hier sind ziemlich crazy. Sie sind oft tagelang unterwegs ohne zu schlafen. Um das möglich zu machen, hat fast jeder Fahrer ein paar „Pericos“ im Handschuhfach. Das sind Pillen, die offiziell verschrieben werden, um Leuten beim Abnehmen zu „helfen“. Eigentlich bekommt man sie nur auf Rezept, aber entlang der Autobahnen gibt es zahlreiche „Cachimbas“- kleine Holzhütten, wo die Pillen illegal verkauft werden.

„Was war die längste Zeit, die du wach warst?“, fragen wir einen unseren Fahrer. „Dreißig Tage.“ „Ist doch gar nicht möglich!“ „Doch.“- er beharrt auf seiner Aussage. „Aber das ist unangenehm.“, fügt er hinzu. „Ich habe irgendwann angefangen, Leute auf der Straße zu sehen, aber keine aus Fleisch und Blut. Dass sie nicht real sind, erkenne ich daran, dass sie keine Gesichter haben. Vor allem nachts tauchen sie auf, wenn ich an den Kreuzen vorbeifahre, die markieren, dass da jemand gestorben ist. Manchmal sitzen diese Geister plötzlich neben mir im Truck, ohne dass ich angehalten hätte. Meistens wollen sie mir etwas mitteilen und bewegen ihre Lippen, aber ich kann sie nicht hören. Es fühlt sich an als würde der Tod direkt neben mir sitzen. Ich bekomme Gänsehaut wenn ich nur daran denke.“

Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, direkt am Anfang zu fragen, wie lange die Fahrer schon unterwegs sind. Und ob sie diese Pericos nehmen. Wenn jemand schon zwei Tage unterwegs ist, steigen wir meisten wieder aus. Oder wenn wir erfahren, dass der Fahrer Crystel raucht.
Aber das sieht man ihnen meistens schon auf den ersten Blick an. Vor allem, wenn sie Fingerhandschuhe tragen, damit ihr Handschweiß das Lenkrad nicht zu rutschig macht.

Schweißtreibende Nächte

Die erste Nacht hinter Gudalajara verbringen wir an einer Tankstelle. Dort gibt es 24 Stunden lang ein Sicherheitsdienst. „Bisher ist hier noch nichts passiert, alles ruhig.“, bestätigt uns der Tankwart. Trotzdem wird es eine schlaflose Nacht. Draußen sind es 40 Grad. Im Zelt gefühlt doppelt so heiß. Stellt Euch vor, ihr würdet versuchen, in der Sauna eine ruhige Nacht zu verbringen. Es ist kaum auszuhalten.

Um der Hitze zu entgehen, wollen wir die nächste Nacht in einem billigen Hotel schlafen. Ein Hotel mit Ventilator. Manchmal gibt es am Straßenrand günstige Motels für umgerechnet 8 Euro pro Nacht. Aber in der Kleinstadt Obregon, wo wir ankommen, gibt es so etwas nicht.
Xair, mit dem wir bis hierher getrampt sind, hilft uns bei der Suche. Aber die günstigen Absteigen in der Peripherie wollen unsere Hündin Nami nicht reinlassen.

Also bleibt uns nur das billige Vergnügungshotel „Motel Las Vegas“. Der Vorteil ist hier, dass jedes Zimmer mit einer eigenen Garage ausgestattet und durch einen Vorhang sichtgeschützt ist. So bleiben die Autos der Gäste inklusive ihres nächtlichen Abenteuers schön inkognito. Und wir können Nami unbemerkt in das Zimmer schmuggeln.

Als unsere Rucksäcke im Zimmer sind, verabschiedet Xair sich von uns. Er will am nächsten Morgen nochmal vorbei kommen und uns einen frisch gepressten Orangensaft vorbeibringen.

Nachdem wir am nächsten Morgen mit Xair den O-Saft getrunken und bei einem kleinen Fruchthändler unseren Proviant aufgestockt haben, geht es weiter. Hier sammelt uns ein Truck ein. Kaum sind wir eingestiegen, merken wir, dass der Fahrer ohne Klimaanlage unterwegs ist. Die sei vor ein paar Tagen kaputt gegangen.
Wir schwitzen was das Zeug hält. Es ist heiß. Sehr heiß. Aber immerhin kommen wir voran.

Mexikaner reiten auf Eseln und tragen große Hüte

Wir kommen bis zur Kleinstadt Santa Ana. Von hier aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Grenzstadt Nogales. Oft gibt es Gemeindehallen oder öffentliche Gebäude, in denen wir Unterschlupf finden können. Diese Nacht ist es eine Polizeistation. Im zweiten Stock haben können wir unser Lager aufschlagen.

In der Morgendämmerung machen wir uns auf den Weg zur Grenze. Heute werden wir erfahren ob sich das Trampen hierher gelohnt hat.

Luis, ein Mexikaner mit US- amerikanischer Staatsangehörigkeit nimmt uns mit. Ein lustiger Typ. Er erzählt uns von seinen Bekannten in den USA: „Die denken, dass wir hier in Mexiko immer noch mit Eseln unterwegs sind und große Strohhüte tragen, so Pancho Villa Style. No mammes! Und eine andere Bekannte war ganz überrascht, dass es in Mexiko auch Supermärkte gibt…no se puede creer

Luis ist vor 25 Jahren als Jugendlicher zum ersten Mal in als illegaler Einwanderer in den USA gewesen. Ohne einen Dollar in den Taschen zog er los und wurde beim Hitchhiken von zwei Männern aufgesammelt, die ihn mit zu ihrer abgelegen Hütte nahmen. Drinnen türmten sich Tonnen von Drogen, Waffen und Geldscheinen auf den Tischen. „Sie drückten mir eine Waffe in die Hand und sagten: „Junge, wir sorgen für dich. Du arbeitest jetzt für uns!“ Er hatte keine andere Wahl. Fast zwei Jahre lang arbeitete er im Drogengeschäft, bis die ganze Gang hochgenommen wurde. Er war an dem Tag zum Glück nicht zuhause.
Luis reiste dann weiter zur Westküste und stieg langsam in das Handwerksgeschäft ein.

Heute entwirft er Häuser für die VIPs – wie Leonardo Di Caprio zum Beispiel.

Grenzzaun zwischen USA-Mexiko

Ein halb illegaler Grenzübertritt und hysterische Grenzbeamte

Schließlich kommen wir an der Grenze an. Und bleiben einfach im Auto sitzen. Mal sehen was passiert.

Luis zeigt seinen Pass. Wir machen das selbe. Die Grenze ist seit dem 21. März nur für „essentiellen Reiseverkehr“ geöffnet. Alle mit US- amerikanischer Staatsangehörigkeit, LKW-Fahrer, Diplomat*innen etc. können rein. Reisende eigentlich nicht.

Der Grenzbeamte schaut kurz auf die Dokumente, stellt Luis ein paar Fragen und winkt das Auto durch. Here we go! Jetzt könnten wir einfach weiter fahren. Machen wir aber nicht. Mit illegalen EinwanderInnen sind die Staaten ja bekanntermaßen nicht zimperlich. Außerdem macht es uns Hoffnung, dass der Beamte hier so unkompliziert war. Vielleicht sind seine Kollegen im Migrationsoffice ja genauso entspannt.

Wir verabschieden uns von Luis und gehen zu Fuß ins Migrationsbüro. Wenn hier jetzt nicht der „Supervisor“ auf die Bühne getreten wäre, hätten uns die anderen beiden Kollegen wahrscheinlich durchgelassen. Aber dieser „Supervisor“ nimmt die Anordnungen von Oben ziemlich ernst. Mit dem Flugzeug können wir rein, Zufuß allerdings nicht.
Wieso? Was macht das für einen Unterschied? Das kann er uns leider nicht beantworten.

Einer der Beamten begleitet uns zurück auf die mexikanische Seite. Hier sind wir also wieder. Was jetzt? Wenn wir jetzt Richtung Osten ein paar andere Grenzübergänge ausprobieren, könnte es vielleicht klappen, oder? Oft hängen solche bürokratischen Entscheidungen ja gerne einfach nur von der Stimmung der jeweiligen Beamt*innen ab.

Weiter geht’s nach Nacos und Agua Prieta. Aber auch hier bekommen wir nur die selbe Antwort. Der Beamte in Nacos wird ganz hysterisch als er unsere Pässe in den Händen hält. Er läuft dunkelrot an. So als hätten wir ihn persönlich damit beleidigt, unter diesen Umständen in die USA einreisen zu wollen. „YOU NOT gonna enter the united states TODAY!!!“ Okay okay…

Und dieser hysterische Grenzbeamte hat dann auch gleich seine ganzen Kolleg*innen informiert. Denn als wir an dem anderen Übergang in Agua Prieta ankommen, „kennt“ uns der Beamte schon. „You tried it already on the other Port o Entrance, is that right? You can try it everywhere but nobody will let you in. Sorry Girls, i wish you nothing but the best.“ (Ihr habt es schon an den anderen Grenzübergang versucht, richtig?Ihr könnt es überall versuchen aber niemand wird euch reinlassen. Sorry Mädels, ich wünsche Euch nur das Beste. )

Das war’s dann wohl also. Wir geben auf.

Im Kreuzverhör der Mafia

Ein billiges Taxi bringt uns an den Ortsausgang zur Tankstelle. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die tausende Kilometer wieder zurück zu trampen.

Kurz bevor wir an der Tankstelle ankommen, kündigt der Taxifahrer an, dass wir uns uns nicht erschrecken sollen, wenn uns die Jungs von der Mafia gleich ein paar Fragen stellen werden. Die Mafia?! „Ja, kein Problem. Das ist Routine hier. Antwortet einfach wer ihr seid, was ihr hier macht und wo ihr hinwollt.“ Alles klar.

Im Schatten des Tankstellenladens stehen ein paar Typen und mustern uns als wir aus dem Auto aussteigen. Sie stellen uns ein paar Fragen und schicken uns dann weiter zu dem großen, staubigen Parkplatz der etwa 200 Meter von der Tankstelle entfernt daliegt. „Und keinen Schritt weiter!“ ermahnen sie uns.

Auf dem Platz parken ein paar Trucks. Im Hintergrund lungert eine Gruppe junger Männer im Schatten der Hauswand eines heruntergekommenen Restaurants. Als sie uns kommen sehen, löst sich einer aus der Gruppe und kommt zielstrebig auf uns zu. Zwei laut bellende Hunde mit Kettenhalsbändern laufen um ihn herum und wirbeln den trockenen staubigen Boden zu kleinen Wolken auf.
Wo wir hinwollen, will er wissen. Wir geben ihm die Informationen die er haben will. Nämlich, dass wir einen Ride suchen und wieder zurück Richtung Süden wollen. „Suerte Chicas!“ „Gracias.“

Die Grenzlinie zwischen den USA und Mexiko, die hier in Mexiko „La Linea“ genannt wird, zieht sich über eine Länge von 3145 km. Bisher sind davon auf 1,130 Kilometern physische Grenzzäune (dessen Bau im Jahr 2006 von der Bush Regierung angeordnet und seither, auch während Obamas Amtszeit, stetig ausgebaut wurde ) oder Grenzmauern ausgebaut. Trumps Ankündigung, eine sich über die gesamte Grenzlinie erstreckende Grenzmauer zu bauen und Mexiko dafür zahlen zu lassen, wurde bisher noch nicht durchgesetzt.
An dieser Grenze kommen jährlich mehrere Hundert Menschen – überwiegend Migrant*innen aus Mittelamerika und Mexiko – zu Tode. (Dazu ein Artikel in der ZEIT- ONLINE)

Wie wir einem Brandanschlag und einer Verhaftung entkamen

Dann hält Bernando an. Es wird eine lustige Fahrt. Sein lautes, schelmisches Lachen ist ansteckend. Endlich gibt es nochmal was zu lachen. Das tut gut.
Nach 11 Stunden erreichen wir die Stadt Chihuahua. Wegen eines Streiks werden alle LKW’s über eine Umleitung durch ein Viertel in der Peripherie geschickt. Die lange Schlange von Trucks quält sich über eine ungeteerte, schlammige Straße, die unter dem Gewicht der tonnenschweren Trucks immer matschiger wird.

Wir machen gerade wieder über irgendetwas Witze, als der LKW vor uns plötzlich lichterloh in Flammen aufgeht. Bernando bringt seinen Truck zum stehen, zieht den Feuerlöscher unter dem Beifahrersitz hervor und läuft ganz mutig zu dem brennenden Fahrzeug,, um das Feuer zu löschen.

Als der Brand gelöscht ist, können wir die Fahrt wieder aufnehmen.Wieso der Truck plötzlich Feuer fing ist uns bis heute ein Mysterium. Bernando sagt, irgendwer hätte eine Brandbombe geschmissen weil es den Anwohner*innen nicht passt, dass sich plötzlich all die Fahrzeuge durch ihr Wohngebiet quetschen.

Jetzt braucht Bernando erst mal ein Erfrischungsgetränk! Wir halten an der nächsten Tankstelle an.
Die Toilette ist „Außer Betrieb“. Weil es so dringend ist, und gerade sonst keine Alternative zur Verfügung steht, hocke ich mich unter den Anhänger des LKW. Aber noch bevor ein Tropfen rauskommt, höre ich meinen Namen und „Nein, nein… “. Was ist jetzt los?
Ich krieche also wieder unter dem Anhänger hervor und sehe… eine Polizeistreife vor mir stehen. Lisa steckt schon in wilden Verhandlungen, weil die Polizei sagt, dass ich gerade eine Straftat begangen hätte. Aber die Toilette war geschlossen, ich hatte keine andere Wahl.
Nein, das spielt keine Rolle, wir sollen mit aufs Präsidium. Die Polizeibeamten meinen es ernst. Mit geschickten Argumenten und dem Fakt, dass der Boden noch trocken ist, weil ich rechtzeitig gewarnt wurde, dürfen wir dann doch zum Glück wieder in Bernandos LKW einsteigen und weiter fahren.

Was für ein Tag!

Über diesen Erdweg werden die LKWs durch ein Wohngebiet geleitet

Besuch bei den Mennoniten

Weil wir sowieso nun schon einmal hier im Norden sind wollen wir noch kurz bei den Mennoniten vorbei. Als „Mennoniten“ und „Mennonitinnen“ werden die Mitglieder einer evangelische Freikirche bezeichnet, zu deren Prinzipien die Gewaltfreiheit und Ablehnung des Militärdienstes gehört.

In der Nähe der Stadt Cuauhtémoc im Bundesstaat Chihuahua hat sich im Jahr 1920 eine Mennonitengemeinde angesiedelt.

Frühstück bei einer Mennonitenfamilie

Was jetzt?

Nach unserem Besuch bei den Mennoniten machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Süden. Inzwischen wurde die Grenzschließung wieder bis zum 21 September verlängert. So wird es sicher noch bis zum Ende des Jahres weitergehen. Oder noch länger?

Wie soll es also für uns weitergehen? Abgesehen von den geschlossenen Grenzen, sind auch die meisten Gemeinschaften im Moment nicht mehr offen für Besucher*innen.
Und zudem sieht unsere Reisekasse ziemlich traurig aus. Eigentlich wollten wir in Kanada als Erntehelferinnen arbeiten. Aber das können wir dieses Jahr vergessen.

Also:

In die USA können wir nur mit dem Flugzeug. Das steht fest.
Aber sollen wir wirklich fliegen?

Vielleicht gelten in dieser „neuen Normalität“ nun auch neue Regeln und Prinzipien, die man vorher abgelehnt hätte? Neue Regeln und Prinzipien die eigentlich grundsätzlich nicht mit der eigenen Philosophie zu vereinbaren sind, aber doch umgesetzt werden. Vielleicht wäre ein Flug in die USA also auch eine Anpassung an diese neuen Umstände. Nur zeitweise. Und wenn die Grenzen öffnen, könnten wir wieder an den Ausgangspunkt zurück und weiter machen wie vorher.

Oder vielleicht hat sich die Weltordnung gar für die nächsten Jahre geändert. Wer weiß. Dann wäre es für uns nur konsequent zurück zu kommen und unsere Gemeinschaft zu gründen.

Denn diese Art von Reisen ist nicht mehr das, wofür wir vor drei Jahren losgezogen sind.

Eine Insel der Gemütlichkeit

Inmitten dieser Niedergeschlagenheit hält Bere an. Mit ihrem freundlichen Lächeln und ihrer ruhigen Stimme kommt sie uns fast vor wie eine Fatamorgana. Aber sie ist real.
Die erste Frau, die für uns anhält. Sie erzählt, dass sie auch mal mit dem Rucksack durch Europa gereist ist und lädt uns ein, auf dem Bauernhof ihrer Familie die Nacht zu verbringen. Wir nehmen das Angebot dankend an, und werden von der Familie liebevoll empfangen. Die Mutter von Bere lädt uns zum gemeinsamen Abendessen ein und überlässt uns das gemütliche Gästezimmer.

Das sind diese unerwarteten Geschenke des Universums. Wahrscheinlich um uns daran zu erinnern, dass die Welt doch eigentlich auch ein ganz schöner Ort sein kann…

And Finally: Der Stempel im Pass

Nachdem wir schon einmal im März und jetzt wieder erneut an der Grenze abgewiesen wurden, standen wir an einem Punkt, wo wir unserer Ansicht nach zwischen drei Optionen wählen konnten: 1) Weiter in Mexiko ausharren und warten, was passiert. 2) sich der „neuen Normalität“ fügen und nach deren Regeln spielen oder 3) Projekt abbrechen und zurückkommen

Es dauerte einige Tage, kostete Diskussionen und Tränen, bis wir uns letztendlich dazu entschieden, in die USA zu fliegen.
Dort sind wir inzwischen angekommen und können hier bis März 2021 bleiben.
Dann schauen wir weiter.

„Outthere“ ist in einem „Ausnahmezustand“- so wie der Rest der Welt. Wir sind gespannt wie es weitergehen wird.

Translate »