Plötzlich mittendrin – im Kampf zwischen David und Goliath
05 Dezember 2019 – Mexiko
Ein Flüstern holt mich aus dem Schlaf. „Julia, Lisa! Schlaft ihr schon?“, Elodies Stimme dringt dünn und unsicher von Außen zu uns ins Zelt. „Was gibt es?“ „Sorry wenn ich euch aufgeweckt habe aber es ist dringend. Max, Viktor und Ich haben einen Notfallplan besprochen falls es diese Nacht zu einem bewaffneten Überfall auf die Gemeinschaft kommen sollte.“ Draußen ist es still. Die meisten schlafen schon. Nur ein paar Grillen zirpen und aus der Ferne hinten aus dem bergigen Dschungel schallt das dumpfe Echo eines brüllenden Tieres. „Sollten wir Schüsse hören,…“, fährt Elodie leise fort, „…tun wir Fünf uns zusammen und lassen uns unter keinen Umständen mehr aus den Augen. Dann laufen wir alle runter zur Schule – die ist von vier Betonwänden geschützt!“
Trotz der ganzen Aufregung schlafe ich schnell wieder ein und werde erst wach als ich einen Schuss höre.
Es ist stockduster, nur die flackernde Kerze neben der Bambusmatte auf der Max schläft, lässt im fahlen Licht ein paar Umrisse der Umgebung erkennen. Aber Max scheint ruhig weiter zu schlummern. Auch die zwei Hängematten der Franzosen bewegen sich nicht. Alles ruhig. Muss ein Traum gewesen sein…
Den Schuss hatte ich mir wahrscheinlich nur eingebildet. Der Albtraum aber, der ist für viele Indigene Gemeinschaften hier in Mexiko erlebte Realität. Und wir steckten plötzlich mitten drin, in den düstersten Tiefen Mexikos, mitten in diesem Albtraum. Plötzlich sind wir Zeuginnen des ungleichen Kampfes zwischen David und Goliath. Aber am besten fange ich ganz von Vorne an:
Eingebettet in die grünen Berge der „Sierra Sur“ im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca liegt das autonome Bildungszentrum und die Gemeinschaft „Finca Alemania“.
Irgendwo im Nirgendwo
Wir hatten uns für 10 Uhr morgens am Markt in Maria Huatulco mit den Compas von CODEDI, dem Komitee für die Verteidigung der Rechte Indigener, verabredet. Um 14 Uhr gab es von dem Geländewagen, mit dem sie uns abholen wollten, immer noch nicht die geringste Spur. Bis hoch zur Gemeinschaft und dem autonomen Bildungszentrums „Finca Alemania“ sind es knapp zwei Stunden Fahrt über einen unbefestigten Schlammweg durch vom Dschungel dicht bewachsene Berge.
Die Koordination unseres Besuchs hatte sich auf zwei, drei Handynachrichten beschränkt weil es oben keinen Empfang gibt. Vielleicht hatten sie die Verabredung vergessen?
Die erwartungsvolle Aufregung dass der Jeep gleich um die Ecke kommt, war längst verflogen und stattdessen hatte sich müde Langweile breit gemacht. Vor uns stand eine Frau die lauthals ihre hausgemachten Tortillas anpries, daneben ein Mann der im Schatten eines geblümten Sonnenschirms darauf wartete, dass jemand seine Hühner kauft. Die Leute, die erst mit leeren und später vollen Taschen im Markt ein und aus gingen beäugten uns interessiert. Dann und wann fragte jemand was wir hier machen würden. Reisende waren in diesem abgelegnen Dörfchen wohl keine Alltäglichkeit.
Fast hätten wir uns schon mit dem Gedanken abgefunden, dass die Compas uns vergessen hatten, als ein Mann aus dem Treiben geradewegs auf uns zukam. Irgendwie war ihm sofort eine gewisse Anspannung abzulesen.
„Hey, ihr wollt bestimmt auch hoch zur „Finca Alemania?“ begrüßte er uns. Er stellte sich uns vor und erzählte, dass er oben im autonomen Bildungszentrum als Lehrer arbeitet. Zeus hatte das Wochenende bei seiner Familie verbracht und sollte eigentlich mit dem selben Jeep wie wir abgeholt werden. „Soweit ich mitbekommen habe, herrscht oben die totale Aufregung. Ich stand kurz mit den anderen in Kontakt aber konnte nicht richtig verstehen was im Detail passiert ist. Letzte Nacht gab es wohl eine Auseinandersetzung mit der Polizei, bei der jemand ums Leben gekommen ist.“
Es ist schon später Nachmittag als der Jeep doch endlich auftaucht. „Keiner weiß so genau wie sich die Situation entwickeln wird, wollt ihr trotzdem mit hoch fahren?“ fragt Zeus nochmal mit Nachdruck. „Ja“ geben wir ihm zurück, heben Nami auf die staubige Ladefläche und klettern mit unseren Rucksäcken hinterher.
Auf dem Weg zur Finca…
Immer tiefer in den Dschungel…
Unser Handgelenk war vom Festhalten schon ganz weiß, so sehr mussten wir die metallene Querstange der Ladefläche umklammern, damit wir nicht vom Jeep fielen. Das Auto rumpelte über riesige Steine und im nächsten Moment rutschte es auf dem lehmigen Boden aus. Santa Maria Huatulco lag schon lange hinter uns. Der sich zu allen Himmelsrichtungen ausbreitende Dschungel wurde mit jedem Kilometer, den wir uns vom Dorf entfernten, dichter.
Nach eineinhalb Stunden Fahrt hielten wir endlich an. Zu unserer Überraschung fehlte von der Gemeinschaft allerdings jede Spur. Keine Häuser keine spielenden Kinder, keine Tiere. Lediglich ein paar Männer waren zu sehen, die sich um einen großen alten Baum herum versammelt hatten.
Zeus sprang vom Jeep und lief zu der Männergruppe. Daraufhin steckten sie ihre Köpfe zusammen und unterhielten sich in gedämpfter Stimme.
Die Art wie sie miteinander umgingen ließ uns vermuten, dass sie alle Mitglieder von CODEDI waren. Die Vermutung bestätigte sich als sie uns mit „Hola Companeras“ begrüßten. Das Gesicht von Zeus sah ernst und bedrückt aus, als er wieder zu uns auf die Ladefläche stieg. Er warf uns einen besorgten Blick zu.
„Überwachungskontrolle der CODEDI in 100 Metern“
Seid gewarnt…
Einer der Männer die am Baum gestanden hatten sprang ebenfalls mit auf die Ladefläche. „Compas, wir freuen uns, dass ihr hier seid, aber… ihr habt vielleicht schon gehört, dass es gestern Nacht einen Übergriff gab? Die Situation in der Finca ist gerade etwas angespannt, nur damit ihr Bescheid wisst.“, richtet der Mann der sich vorher als Wladimir vorgestellt hatte das Wort an uns. Auf die Frage, ob er erklären könne was denn genau passiert sei, erwidert er nicht viel. Auch während der restlichen Fahrt wurde nicht mehr viel geredet. Wir mussten uns noch etwas gedulden bis wir Klarheit bekamen…
Kurz nach einem Schild am Wegesrand auf dem in großen Buchstaben „TERRITORIUM VON CODEDI“ zu lesen war, wurden die ersten Hütten sichtbar. Vom Dschungel eingebettet, lag die Ex-Finca in einer kleinen Talsenke vor uns, die Umrisse der Holzbauten waren im blauen Dämmerlicht gerade noch zu sehen, Rauch waberte über die hölzernen Dächer und trug den Duft von frischen Tortillas und über dem Feuer gekochten Bohnen zu uns hinauf. Ein paar Kinder rannten über die erdigen Gassen und scheuchten zwei Gänse auf. Von Anspannung war auf den ersten Blick nichts zu sehen, ganz im Gegenteil, von weitem machte die der Ort einen fast idyllischen Eindruck.
CODEDI wurde im Jahr 1998 mit dem Ziel gegründet, die Lebensbedingungen der umliegenden indigenen Gemeinschaften zu verbessern und ihr Recht auf Selbstverwaltung zu verteidigen.
Die Wahl: Hungertod oder Sklavenarbeit
Die heutige autonome Gemeinschaft und das Bildungszentrum „Finca Alemania“ trägt noch immer den Namen aus jener Zeit, als das Gelände von deutschen Gutsherren zum Kaffeeanbau genutzt wurde. Vor allem während der Herrschaft von Porfirio Diaz in den Jahren 1876 bis zur mexikanischen Revolution 1910, wurden ausländische Investoren ins Land gelockt. Ländereien, die bis zu dem Zeitpunkt von indigenen Gemeinschaften kommunal genutzt wurden, wurden privatisiert und den ausländischen Unternehmern zu günstigen Preisen verkauft.
Die Folge war, dass in dieser Zeit fast über 10 Millionen Bauern und indigene Menschen ihre Lebensgrundlage verloren. Wer nicht an Hunger sterben wollte, musste sich unter sklavenähnlichen Bedingungen als „Peones“ auf den Haciendas (Gutshöfe) verdingen, oder in ein Armenviertel der Städte ziehen und dort Arbeit suchen. Als der Kaffeepreis weltweit sank, wurde die Finca Alemania von ihren ehemaligen Besitzer fallen gelassen und der Dschungel holte sich das Terrain langsam wieder zurück, bis CODEDI das Gelände 2013 besetzte und reaktivierte um dort ein autonomes Bildungszentrum für Kinder und Jugendliche zu gründen.
Orientierungsplan der Finca: Bäckerei, Imkerei, Werkstatt, Schneiderei, Schule, Küche, Theaterworkshop, traditionelle Naturmedizin, …
Julia, Elodie und Victor auf dem Weg zur Küche.
Die mysteriöse Nacht
Gemeinsam gingen wir rüber zur Küche um zu sehen ob vom Abendessen vielleicht noch etwas übrig geblieben war. Die Küche ist ein offener überdachter Bereich, rechts gibt es eine große Feuerstelle mit flachen, riesigen Tonpfannen auf denen jeden Morgen mehrere hundert Tortillas gebacken werden.
Ein paar Enten hatten sich dahinter versammelt und futterten genüsslich die Tortillareste vom lehmigen Boden. Auf den Feuerstellen im hinteren Teil der Küche werden täglich große Mengen an Bohnen und Gemüse gekocht. Max hob den Deckel einer der riesigen Töpfe, die auf den glühenden Kohlen standen. „Ah, ihr habt Glück es gibt noch Bohnen und Zimttee! Bedient euch.“
Wir setzten uns auf die schiefen Holzbänke an den riesigen Tisch und Max begann zu erzählen: „Letzte Nacht haben die Compas bei einer ihrer nächtlichen Patrouillen einen Mann entdeckt. Als sie ihn fragten ob er sich ausweisen kann, holte er als Antwort eine Waffe aus seinem Hosenbund…“ Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gebracht, da durchfuhr mich ein eiskalter Schauer. Irgendwer hatte aus dem Hinterhalt seine langen Fingernägel in meine Schulter gebohrt.
Als ich mich umblickte sah ich einen kleinen grünen Kanarienvogel, der mich genauso verdutzt anschaute wie ich ihn. Max lachte und stellte den kleinen Vogel vor. Paulino war ein zahmer Kanarienvogel der sich irgendwann mal überlegt hatte das Leben im Dschungel gegen das in der Gemeinschaft auszutauschen. Seither war er ein festes Mitglied.
Von meiner Schulter sprang er herunter auf den Tisch und marschierte rastlos auf und ab während Max weiter erzählte: “Beim Versuch ihm die Waffe abzuholen, artete der Kampf scheinbar aus. Die Person starb heute im Krankenhaus. Aber die Geschichte wird noch abstruser: Die Person trug weitere Waffen und ausserdem Drogen bei sich. Und…das letzte Detail was uns alle hier in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnte: der Mann war einer von der Polizei, dem AEI (staatliche Ermittlungsbehörde) um genau zu sein.“
In der Küche: Tortillas backen für die Gemeinschaft
Bewaffneter Überfall? Ziemlich wahrscheinlich!
„Die werden den Fall jetzt wahrscheinlich so drehen, dass sich alles gegen CODEDI wenden wird. Und ihr wisst ja wie die Dinge hier in Mexiko oft geregelt werden, schmutzig und im Geheimen… Nichts mit Gerichtsverhandlung oder so.
Morgen gibt es eine Generalversammlung unten am Platz um das weitere Vorgehen und Sicherheitsmaßnahmen zu besprechen. Ihr habt ja sicherlich gehört was vor ein paar Wochen mit dem Compa Cesar passiert ist. Drei Auftragsmörder hatten sein Haus nieder geschossen. Glücklicherweise war er und seine Familie zu dem Zeitpunkt nicht Zuhause.“
Vor dem Einschlafen schwirrten mir wirre Szenarien und unzählige Fragen durch den Kopf. Die Situation war komplett neu und es fiel uns allen schwer, die Ereignisse in irgendeiner From einzuschätzen.
Während der Zeit in San Cristobal und unserem Einsatz als MenschenrechtsbeobachterInnen in Chicomuselo hatten wir einen Einblick in den Widerstand indigener Bewegungen bekommen und wussten wie rigoros der staatliche Machtapparat sich diesen entgegenstellt.
Für den Staat ist die traditionelle Lebensweise der originalen Völker ein Dorn im Auge. Meist liegen die indigenen Dorfgemeinschaften auf ressourcenreichen Ländereien, die der Staat kapitalisieren und an Großunternehmer verkaufen will.
Abraham der Gründer von CODEDI drückte sich in einem Interview deutlich zum Thema aus: „Wir sind in Lebensgefahr weil wir uns weigern, uns ihrem Kapitalismus anzupassen. Für sie ist die Natur Kapital, für uns ist die Natur Lebensgrundlage und ein lebendiges Geschöpf was geehrt und geschützt werden sollte. Sie wollen Staudämme bauen, wertvolles Holz extrahieren, Mienen errichten und schrecken nicht vor drastischen, zerstörerischen und tödlichen Maßnahmen zurück.“
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ist das Militär die Einrichtung mit der höchsten Rate an Menschenrechtsverletzungen im Land und die Polizei steht dem in nichts nach. Das Risiko also, dass die Gemeinschaft in den kommenden Stunden oder Tagen von einem bewaffneten Überfall überrascht wird, ist nicht nur hoch, sondern ziemlich wahrscheinlich.
Evakuierung
Der Plan, den uns Elodie eben zugeflüstert hatte, gibt mir auf irrationaler Ebene irgendwie ein ruhigeres Gefühl. Wahrscheinlich weil er mir die Illusion vermittelt der Situation nicht ganz so hilflos ausgesetzt zu sein..
Die Nacht bleibt ruhig. Wie angekündigt versammelt sich die Gemeinschaft am nächsten Morgen unten vor der Ruine auf der Wiese um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Die Situation hat etwas apokalyptisches. Circa siebzig Leute haben sich eingefunden, viele mit Kindern in den Armen, die den Eltern verschlafen über den Schultern hängen.
Es ist erst sieben Uhr in der Frühe und die Sonne hat es noch nicht über die umliegenden Berge geschafft. Nebel streift durch das hohe Gras und um die Beine der Versammelten. Hinten kräht ein Hahn als wäre es ein ganz gewöhnlicher Morgen.
Professor Juan hat das Wort. Um besser gehört zu werden hat er sich auf die erste Stufe der von feuchtem Moos überwucherten Ruine gestellt. „Aus Sicherheitsgründen haben wir im Gemeinschaftsrat entschieden, dass alle Kinder die sich in der Gemeinschaft befinden – vor allem die die ohne Eltern hier sind – die Finca verlassen sollten. Allen anderen wird die Entscheidung frei überlassen.“
Als Juan die Runde zur freien Diskussion öffnet, ergreift ein Mann das Wort. An seinen Beinen haben sich seine zwei kleinen Söhne festgeklammert und blicken schüchtern in die Runde. Dem Mann stehen die Tränen in den Augen als er vor allen verkündet, dass er die Finca samt seiner gesamten Familie verlassen wird. Andere wollen hier bleiben und die Position halten.
Die Energie ist so geladen, dass die Luft vor Anspannung zu knistern scheint. Adrenalin, Unsicherheit, Angst. In den nächsten Stunden machen sich viele auf den Weg in die umliegenden Dörfer. Die meisten Frauen und Kinder verlassen das Gelände. Auch wir müssen eine Entscheidung treffen.
Schulkinder verlassen das Gelände.
Was tun?
Elodie, Max, Victor, Jule und ich gehen zur Küche um unser weiteres Vorgehen beim Frühstück zu besprechen. Kaum haben wir uns hingesetzt, da kommt Freddie um die Ecke auf uns zu gerannt. „Ah hier seid ihr! Ich hab euch gesucht!“, ruft er atemlos. „Gerade kam von unseren Compas per Funkgerät die Nachricht an, dass unten im Dorf ein Konvoi aus neunzig schwer bewaffneten Polizisten vorbei gefahren ist. Die sind auf dem Weg zur Finca…“
Jetzt muss schnell gehandelt werden. Was tun? Ein paar Compas wollen dem Konvoi entgegen fahren um ihn aufzuhalten bevor er die Finca erreicht. Auf dem Weg hoffen sie mit der Polizei in Verhandlung treten zu können. Die meisten Familien und Kinder hatten das Gelände noch nicht verlassen.
Da wir jetzt so oder so hier „gefangen“ sind, überlegen wir, wie wir uns nützlich machen können. Von unserem Einsatz in Chicomuselo als MenschenrechtsbeobachterInnen wussten wir, dass die Präsenz internationaler Beobachter*innen eine Situation wie diese entschärfen kann. Also schlagen wir Freddie vor, mit runter zu fahren.
Ein paar Minuten später springen wir mit ihm, Orelia und zwei weitern Compas auf die Ladefläche des Jeeps und rasen los.
Orelia hatte die Kommunikation per Funk mit den Mittelsleuten unten im Tal übernommen. „Basis an Finca. Basis an Finca.“ tönt eine rauschige Stimme aus dem Gerät. „Ich berichtige. Es sind nicht neunzig Bullen, sondern 170!“
Orelia steht mit den Kameraden in der Finca über Funk in Kontakt und informiert sie über den Verlauf der Dinge.
Ein Konvoi mit 170 schwer bewaffneten Polizisten sind auf dem Weg zur Finca.
Unser Jeep versperrt dem Konvoi den Weg. Orelia verhandelt mit den Polizisten.
Spiegel der Realität
In einer Siedlung vor Maria Huatulco treffen wir auf den Konvoi, der sich vor uns wie eine bedrohliche schwarze Schlange auftut. Unser Jeep versperrt ihnen die Weiterfahrt. Hier stehen wir nun also, mit dem alten, klapprigen Auto vor ungefähr dreißig gepanzerten Polizeiautos. Auf den Ladeflächen stehen schussbereite Schützen, die mit ihren Uniformen, Knieschützern, schwarzen Masken und schweren Gewehren vor der Brust so aussehen, als hätten sie sich für einen Bürgerkrieg zurecht gemacht.
Die Situation ist ein Spiegel der Realität in dem ungleichen Machtkampf zwischen Indigenen Völkern und dem Staat. Oben in der Finca leben Familien und Kinder die einfach nur ihrer traditionellen Lebensweise nachgehen wollen und hier fährt die staatliche Ermittlungsbehörde vor, als würde es sich um eine der gefährlichsten Terrorzellen Mexikos halten. Die Kriminalisierung der Indigenen Bewegungen ist Teil der politischen Methoden zur Unterdrückung.
Eine handvoll Typen steigen aus den gepanzerten Autos und nähern sich unserem Jeep. Freddie und Orelia steigen ebenfalls von der Ladefläche und gehen ihnen entgegen. Wir halten jedes Detail mit unseren Kameras fest und werden dabei kritisch von den Polizisten beäugt.
Um Ausschreitungen zu vermeiden wurden wir gebeten, alles genau mit unseren Kameras fest zu halten.
Die Situation ist äußerst angespannt, aber glücklicherweise scheint niemand wirklich Interesse dran zu haben die Umstände eskalieren zu lassen. Freddie tritt mit dem Polizeioberhaupt in ein Verhandlungsgespräch.*
*Dass es überhaupt zu einem Verhandlungsgespräch kommen konnte, liegt unter anderem an dem für die Region Oaxaca besonderem Gesetz der „Usos y Costumbres“ (dt.: Sitten und Gebräuche). Dieses Recht räumt den indigenen Gemeinschaften offiziell die selbstverwaltete Organisation und Autonomie ein. Die interne Verwaltung steht also über der Staatsverwaltung, das ungefragte Eindringen dieser autonomen Regionen von Seiten des Staates wäre ein Gesetzesbruch. (Es ist nicht so als würde sich der mexikanische Staat tatsächlich an Gesetze halten aber vielleicht spielten hier die Rahmenbedingen eine nicht unerhebliche Rolle: die ziemlich öffentliche Umgebung in der wir uns aufhielten und vielleicht auch der Fakt dass fünf Ausländer den Vorfall dokumentierten)
Ergebnis der Verhandlung: Drei Polizeiautos mit insgesamt 12 Männern dürfen hochfahren, während die anderen hier warten. Auf allen drei Autos soll mindestens ein*e internationale Beobachter*in mitfahren.
Mittendrin
Im Auto herrscht angespannte Stille. Neben mir sitzt ein Typ dessen Gesicht ich durch die schwarze Maske kaum sehen kann – gleich mit zwei scharfen Maschinengewähren in den Händen. Durch Funk kommuniziert der Fahrer mit den anderen Drei.
Äußerlich bin ich ganz ruhig. Innerlich geht es etwas turbulenter zu. Aber die Ruhe, mit denen die Compas die ganze Situation angehen, beruhigt mich.
Als wir oben in der Finca ankommen, haben sich die restlichen Compas am Eingangsbereich versammelt und schneiden mit ihren Macheten Gras und geben den Cops damit ein eindeutiges Zeichen: Wir lassen uns nicht einschüchtern!
Der Konvoi kommt zum stehen. Wieder ein kurzes Gespräch zwischen CODEDI und der Ermittlungsbehörde. Dann drehen sie wieder ab und fahren – mit uns – weiter zum Fluss. Irgendwas stimmt doch hier nicht, denke ich als wir uns wieder am Fluss drehen.
So sehen keine Ermittlungsarbeiten aus. Keine essentiellen Fragen zum Vorfall, keine reale Investigation. Mir scheint es so, als würde die Polizei den Vorfall als Vorwand nutzen um das Gebiet auszukundschaften zu dem sie eigentlich keinen Zugang haben…Vielleicht für eine strategische Räumungsaktion?
Um sicher zu stellen, dass die Polizei nicht gegen die abgemachten Vereinbarungen verstößt, fahren wir mit ihnen durch das Gelände der Finca und dokumentieren weiterhin das Geschehen.
Jule und Elodie auf dem Polizeiwagen vor mir.
Erneute Verhandlung in der Finca. Freddy, der hier auf dem Foto mit den Beamten spricht, wurde ein paar Monate nach dem Vorfall willkürlich in der Stadt Oaxaca festgenommen und sitzt zu diesem Zeitpunkt (05.07.20) immer noch im Gefängnis ohne dass ihm konkret ein Vergehen nachgewiesen werden kann.
Und jetzt?
Langsam schlurfen Elodie, Max, Viktor, Jule und ich zur Küche um dort einem warmen Zimttee zu trinken und unsere Gedanken zu ordnen. „Die Compas kennen den Dschungel. Die kennen auch die Finca und mögliche Fluchtwege. Wenn es hier wirklich rund geht, dann könnte es echt heikel werden für uns.“ wirft Viktor in die Runde.
„Und so wie die Cops heute den Ort strategisch ausgeguckt haben, sehe ich einen bewaffneten Übergriff – um ehrlich zu sein – als garnicht nicht so unwahrscheinlich.“, fügt Elodie hinzu. Max sagt erst nichts, er scheint nachdenklich.
Er ist inzwischen schon seit drei Wochen hier, kennt alle Leute und hatte mittlerweile ein inniges Verhältnis mit vielen aufgebaut. “Ich kann die Compas jetzt hier nicht alleine lassen! Das würde sich wie Verrat für mich anfühlen.“ sagt er irgendwann.
Krisengespräch in der Küche: Wie gehen wir weiter vor?
„Die Kinder und Jugendlichen sind spätestens morgen alle abgereist.“ entgegnet Elodie, „Dann sind hier nur noch die Jungs, die bereit sind, die Finca zu verteidigen – wenn nötig mit ihrem Leben. Im Gegensatz zu uns sind sie ständig mit solchen Situationen konfrontiert und wahrscheinlich vorbereitet auf einen Angriff. Wir hingegen stünden einer solchen Sache total planlos gegenüber. Wären wir da wirklich nützlich? Ist die Vorstellung im Fall einer Auseinandersetzung wirklich helfen zu können nicht naiv?“
Würde unsere Präsenz tatsächlich einen Konflikt verhindern? Und wenn es einen plötzlichen Überfall geben würde, nicht von der Polizei, sondern, wie es hier üblich ist wenn es um schmutzige Geschäfte geht, von Paramilitärs oder Auftragsmördern? Aber lassen wir die Compas nicht im Stich wenn wir einfach so „abhauen“? Und wenn ein Großteil des Komitees schon abgereist ist, wieso sollten wir dann hier die Held*innen spielen? Was kann jetzt hier unser Aufenthalt wirklich beisteuern?
So geht es fast die ganze Nacht. Wir wägen die Pros und Contras ab. Schließlich kommen wir dann doch irgendwann zu dem schweren Entschluss, am nächsten Morgen die Finca zu verlassen.
„Ist ne weise Entscheidung, Leute. Wir wissen ja selbst gerade nicht wie es hier weiter geht.“ bestätigt Freddie als wir ihm von unserem Entschluss erzählen. „Wir bleiben in Kontakt, Compas, und wenn sich die Situation beruhigt, seid ihr hier immer herzlich Willkommen!
Keine leichte Entscheidung: Aus Sicherheitsgründen verlassen wir das Gelände.
Nur eine Handvoll Kameraden bleiben, um das Gelände zu verteidigen.
Zwei Monate später
Als sich die Situation wieder beruhigt hatte, beschlossen wir, zur Finca zurück zu kehren. Mittlerweile waren die meisten Familien und Kinder in die Gemeinschaft zurück gekommen und der Schulbetrieb ging wieder seine gewohnten Bahnen. Zwar hatte es keinen Überfall auf die Finca gegeben, aber für die Medien (meist staatlich finanziert) war der Vorfall ein gefundenes Fressen. Die Gemeinschaft wurde vor der Öffentlichkeit zu einer „gefährlichen Terrorzelle“ und zur „Ausbildungsbasis für Terroristen“. Diffamierung mit einem einfachen Ziel: Ein weiterer Beweis der es rechtfertigt, ja sogar notwendig macht, die „gefährlichen“ Indigenen zu bekämpfen!
Außerdem wurde Freddie, der damals alles koordinierte, in Oaxaca festgenommen und sitzt seit November im Knast. Ihm kann zwar kein Verbrechen nachgewiesen werden, aber trotzdem gibt es weder die Aussicht auf eine Freilassung noch auf ein Gerichtsverfahren. Die Polizei kannte sein Gesicht, weil er CODEDI in der Öffentlichkeit repräsentierte.
Die Stimmung in der Finca wirkt trotz der turbulenten letzten Wochen fast ausgelassen als wir oben ankommen. Es scheint fast so als wäre nichts gewesen. Wir stellen unser Gepäck in der überdachten Halle ab – diesmal sind Jule und Ich alleine hier im Gästebereich. Max ist in Chiapas, Elodie und Viktor sind zurück nach Frankreich geflogen.
Ein paar Monate später hat sich im Alltag der Gemeinschaft soweit wieder alles normalisiert…
…auch die meisten Schulkinder sind wieder zurück gekommen.
In Gustavos Bäckerei
Der Duft nach frischen Brötchen lockt uns hoch zu Gustavo in die Bäckerei. Wir stoßen die quietschende Gittertüre auf, die die Tiere davon abhalten soll die Leckereien zu essen. Als er uns sieht, kommt er freudestrahlend auf uns zu. „Compas! Wie schön euch wieder zu sehen. Ihr kommt gerade recht, ich habe einen frischen Kaffee aufgesetzt und die Brötchen sind fast fertig!“ Es ist eine richtige Freude Gustavo wieder zu sehen. Obwohl er meist vom selben Thema spricht, macht es einfach nur Spaß ihm zuzuhören. Mit seinen knapp sechzig Jahren – dreißig davon arbeitet er als Bäcker – redet er von seinem Handwerk, seinen Kuchen und Gebäcken mit einer Leidenschaft als sei er frisch verliebt.
Hinten, neben dem großen Ofen aus alten Blechtonnen steht der von ihm improvisiere Herd: In einer rostigen Schubkarre mit plattem Reifen brennt ein kleines Feuerchen, darüber steht ein altes Metallgitter gestellt auf dem der Kaffee vor sich hin brodelt.
Während wir die süßen Brötchen essen und den noch viel süßeren Kaffee schlürfen, erzählt er uns von seinen 200 Rezepten, die er – und das betont er ganz besonders – alle im Kopf abgespeichert hat. Dann kramt er seine zahlreichen Auszeichungen hervor. Zu jeder gibt es eine lustige Anekdote aus seinem Leben als Bäckermeister. Es ist schon spät als wir uns endlich losreißen können und müde zu unserem Zelt schlurfen.
Gustavo erzählt uns – mit vielen lustigen Anekdoten gespickt – von seinem Lieblingsthema: seiner Laufbahn als Bäckermeister.
Gustavos Herd.
Die Bäckerei ist auch Ausbildungsstätte für die Kinder…
…nach einigen Monaten der Ausbildung erhalten sie ein Zertifikat, mit dem sie auch „draußen“ offiziell im Bäckerhandwerk arbeiten können.
Zur Kaffeeernte in den Dschungel
Der nächste Tag beginnt früh. Heute Morgen steht Tequio auf dem Plan. Tequio heißt so viel wie Gemeinschaftsarbeit und ist seit Jahrtausenden ein wichtiger Bestandteil indigener Gemeinschaften. (→ mehr zu Tekio in Living Utopia) Ausgerüstet mit Eimern und Schubkarren haben sich circa dreißig Kinder, Jugendliche und ein paar Lehrer auf dem Platz unten vor der Ruine versammelt.
Gemeinsam geht es hoch in den Dschungel, wo die Kaffeepflanzen wachsen. Dort warten die reifen, roten Früchte bereits darauf geerntet zu werden. Es ist erstaunlich wie selbstverständlich schon die Jüngsten in allen anfallenden Arbeiten mithelfen. Ein integraler Faktor für das Funktionieren einer Gemeinschaft: Jeder wird als wichtiger Bestandteil betrachtet und übernimmt verantwortungsvolle Aufgaben. Die Kinder sehen sich dadurch wertgeschätzt und in ihnen wächst schon früh ein Gemeinschaftsgefühl. Es macht richtig Spaß zu sehen WIE die Kinder, die schon morgens um fünf Uhr aufstehen, weil sie zur Küchenschicht eingetragen sind, ihrer „Arbeit“ nach gehen. Scheinbar sehen sie ihre Aufgabe nicht als lästige Pflicht, sondern als soziale und durchaus spaßige Erfahrung.
Auf dem Weg zur Kaffeeernte im Dschungel. Der Kaffeeanbau im Dschungel und nicht als Monokultur auf speziellen Plantagen hat viele Vorteile: Die Kaffeepflanzen wachsen besser im Schatten anderer Bäume, außerdem sind die empfindlichen Pflanzen durch die sie umgebende Vegetation vor Schädlingen geschützt.
Sandra bei der Ernte.
Nach der Ernte werden die roten Früchte gewaschen…
…und zum trocknen in der Sonne ausgelegt. Um später geschält und geröstet zu werden.
Wie weit fliegen Moskitos?
Zum Mittag sind wir wieder unten in der Finca und unsere knurrenden Mägen freuen sich schon auf die dicken, herzhaften Tortillas aus frischem Mais. Aus den riesigen Töpfen, die auf dem Feuer warm gehalten werden, schöpfen wir ein paar Kellen heiße Bohnen in unsere Schüsseln.
Daniel, einer der Professoren begrüßt uns. „Hey Compas, schön dass ihr wieder hier seid!“
Von unserem letzten Aufenthalt kennen wir zwar schon ein paar Gesichter und Namen, aber hatten wegen den Ereignissen damals nicht die Möglichkeit gehabt die einzelnen Leute näher kennen zu lernen. Dafür ist jetzt endlich Zeit.
„Ich bin als Grundschullehrer hier her gekommen.“, erzählt er uns. „Der Unterschied zwischen unserem autonomen Bildungskonzept und dem staatlichen Bildungssystem ist, dass es keine Hierarchien gibt. Alle lernen voneinander. Wir stehen mit unseren Schüler*innen auf gleicher Ebene und lassen uns von ihnen immer wieder für neuen Lernstoff inspirieren.
Letztens hatte ein Schüler beobachtet – frag mich nicht wie –, dass sich Moskitos nicht weiter als im Umkreis von ein, zwei Kilometern bewegen. Ob das wirklich so ist und wenn ja warum, konnte ich ihm spontan nicht sagen. Also recherchierte ich und wir behandelten die Woche darauf, mit Absprache der anderen Kinder, das Thema Insekten.“
Sandra studiert Naturmedizin. Sie will das Wissen ihrer Vorfahren nutzen und Kranken damit eine Alternative zur Schulmedizin bieten. Die meisten Leute in ruralen Gebieten haben nicht die finanziellen Möglichkeiten um kommerzielle Medikamente zu kaufen, ausserdem hat die Naturmedizin weit weniger, bzw. keine Nebenwirkungen.
Das Angebot der gemeinschaftsinternen Apotheke: Salben, Cremes, Tinkturen, Säfte, Tees für fast alle Leiden. Alles eigen hergestellt aus den Pflanzen der Umgebung.
Tequio – auch die Kleinsten helfen selbstverständlich bei den Gemeinschaftsarbeiten mit.
Jule und ich hören interessiert zu, während wir genüsslich unsere Bohnen mit den knusprigen Tortillas verspeisen. „Aus welchen Familien kommen die Kinder die hier zur Schule gehen?“, frage ich mit halb vollem Mund.
„Ihr wisst ja sicherlich wie es hier in Mexiko für die indigene Bevölkerung aussieht, die meisten leben in isolierten, benachteiligten Ecken des Landes oder in extremer Armut in den Städten. Viele Familien haben nicht die finanziellen Möglichkeiten ihre Kinder in die staatliche Schule zu schicken.
Unsere Gemeinschaft wird von mehr als 47 zapotekischen Gemeinschaften im Umkreis unterstützt, von dort kommen die Kinder und Jugendlichen zu uns. Hier bei uns steht ihnen die Bildung kostenlos zur Verfügung. Als Austausch helfen sie und ihre Familien bei der Arbeit mit, die nötig ist, um die Gemeinschaft aufrecht zu erhalten.“
Alba hatte mit einem Ohr zugehört und klinkt sich in das Gespräch ein: „Wir gehen gleich auf eine kleine Insekten-Exkursion in den Wald. Wenn ihr wollt könnt ihr mitkommen. Um 14 Uhr treffen wir uns hinten bei der Fischzucht mit unserem Biologielehrer.“
Biologieunterricht – auf zur Insektenexpedition in den Dschungel…
Die eingesammelten Insekten werden konserviert um sie später im Unterricht zu bestimmen und zu klassifizieren.
Tanzend im Kampf
Der Tag war ziemlich lang und eindrucksvoll. Obwohl ich eigentlich tot müde bin, erwecken die sonderbaren Töne, die hinten vom Basketballplatz zu mir herüber schallen, meine Neugierde. Ich folge den Klängen durch die Dunkelheit und stehe kurze Zeit später auf dem bunt bemalten, hell erleuchteten Platz. Zu einer Musik, die klingt als käme sie aus einem alten Grammophon, bewegen sich um die 30 Kinder und Jugendliche rhythmisch im Takt.
Ich setze mich auf die Mauer und beobachte die ausgelassenen und glücklichen Gesichter. Schon in den ersten Stunden, als wir hier in der Finca angekommen waren, war mir dieser besondere Ausdruck von Freude und Lebenslust bei den Kindern aufgefallen. Was für selbstständige, verantwortungsvolle, aufgeweckte, intelligente und glückliche Kinder! Aber kein Wunder, hier wird ihnen der Raum gelassen, um sich als Individuum frei zu entfalten und gleichzeitig lernen sie was es bedeutet Verantwortung im gemeinschaftlichen Leben mit anderen zu übernehmen.
Die Kinder hier sind auffällig glücklich…
…selbstbewusst und selbstständig.
Neben den Pflichten gibt es auch viel Freizeit.
In einer kurzen Pause, zwischen zwei Performances, kommt Elias der Tanzlehrer zu mir. Ich erfahre, dass der Tanz wichtiger Teil der kulturellen Bildung hier in der Gemeinschaft ist. „Der Tanz bedeutet nicht nur Spaß und Bewegung, er ist ein wichtiger Teil unseres Widerstands!“, erklärt mir Elias.
„Die kulturellen Tänze sind für uns eine wichtige Form des Ausdrucks unserer Ideologie und unserer Kultur. Wir sind stolz auf unsere Wurzeln. Durch die jahrhundertelange Unterdrückung in denen uns – also den originalen Völkern – ständig eingeredet wurde, dass wir und unsere Kultur weniger Wert ist als die der Europäer, ist etwas in den Köpfen der Indigenen selbst umprogrammiert worden.
Viele haben diese Idee so sehr integriert, dass sie zur Wahrheit geworden ist. Aber das ist das Schlimmste was passieren kann, denn eine Unterlegenheit anzuerkennen bedeutet, dass der so Denkende sich niemals aus diesen Verhältnissen befreien kann. Hier geben wir den Kindern ihren Stolz zurück.“
Tanzworkshop am Abend.
Kunst – und Theaterworkshop
Fischzucht in den Ruinen. Nach dem langen Tag nutzen die Kinder die Becken ohne Fische um sich zu erfrischen und zu spielen.
Ein Kreuz für jeden Toten
Abraham hat uns heute zum Frühstück zu sich ins „Casa Blanca“ eingeladen. Er ist Gründer der Organisation und trägt eine Schlüsselrolle im politischen Kampf von CODEDI. Deswegen steht er im ganz speziellen Fokus der Staatsmacht. Frei bewegen kann er sich wegen der Gefahr festgenommen oder getötet zu werden schon lange nicht mehr. Wir wollen seine Perspektive kennen lernen und machen uns auf dem Weg zu einem Interview mit ihm.
Über einen schlammigen Pfad gehen wir an der alten Kapelle vorbei – die jetzt als Gedenkstätte für die im politischen Kampf ums Leben gekommenen Companeros dient. Für jeden der bei hinterhältigen Anschlägen ums Leben gekommen ist, wurde vor dem Altar ein Kreuz aufgestellt oder eine kleine Gedenktafel aufgestellt.
Amnesty International bezeichnen Mexiko als eines der gefährlichsten Länder der Welt für politische Aktivisten. Zwar gibt es Gesetze von offizieller Seite die die Menschen schützten sollen, aber alles „Schmutzige“ wird eben hinter den Fassaden erledigt.
Abraham hat bereits mehrere Anschläge überlebt. Bei einem war er mit fünf Personen, unter anderem mit seiner Frau und zwei Minderjährigen im Auto unterwegs, als sie von Unbekannten überholt wurden, die eine Salve von Schüssen abfeuerten. Abraham und seine Frau kamen mit Verletzungen davon, die anderen drei starben.
Es ist ein hartes Leben im Widerstand. Für die Mitglieder der indigene Bewegungen ist es ein ständiger Kampf zwischen Leben und Tod. Und mit Tod ist nicht nur der physische Tod gemeint, sondern die Zerstörung von Kulturgütern, Traditionen, jahrhundertelang gewahrtem Wissen, Natur und Gemeinschaftsgefühl, der Tod einer Kultur, einer Identität.
Gedenken an die im Widerstandskampf umgekommenen Kameraden.
Im weißen Haus
Durch einen Rundbogen, der mit Schlingpflanzen überwuchert ist treten wir in einen Innenhof. Überall drückt sich der Dschungel durch die Ritzen des ehemaligen Herrenhauses. Am anderen Ende des Hofs steht Christobal und wäscht das Fleisch eines eben gefangenen Opossums. Er winkt uns zu. „Habt ihr Hunger Kameradinnen? Abraham wartet dort hinten schon auf euch.“
Wir finden ihn auf der Terrasse. Es werden gerade Tortillas, Käse, Suppe und das frische Fleisch des Opossums aufgetischt. „Ihr sucht nach gelebten Utopien?“, fragt Abraham als wir ihm von unserem Projekt erzählen.
Die „Utopie“ existiert schon seit Jahrtausenden
„Ist interessant, dass in eurer westlichen Welt eine Utopie, also das Leben in Gemeinschaft, in Harmonie mit Mensch und Natur, als schwer zu erreichendes Zukunftsideal gesehen wird. Dabei kommt die Lebensrealität vieler originaler Völker weltweit der okzidentalen Definition von Utopie doch schon ganz nahe, oder? Während der Kolonialzeit – und heute immer noch – wurde und wird unser Lebensstil als rückständig und barbarisch bezeichnet. Dem heutigen Kapitalismus sind wir ein Dorn im Auge, weil man aus unserer Art zu leben kein Kapital schlagen kann.
Und gleichzeitig wird in eurer Welt, in den sogenannten Industrieländern, die uns doch als so rückständig bezeichnen, die „Alternative Lebensweise“ als Zukunftsmodell gefeiert. Es wird so getan als wäre das „Alternative Leben“ eine neue Erfindung eurer Philosophen und Andersdenker. Wenn ein weißer Mann in einer Lehmhütte wohnt und im eigenen Garten sein Gemüse anbaut, ist das „gelebte Utopie“. Aber wenn wir in Lehmhütten leben und unseren Garten bestellen, dann bekommen wir „Entwicklungsprogramme“ aufgedrückt und niemand kann nachvollziehen, wenn wir diese Programme ablehnen!
Ist ein Paradox, findet ihr nicht? Westliche Philosophen haben viele Konzepte in schöne Worte gefasst und in Büchern für die Menschen zugänglich gemacht. Und es wurden Möglichkeiten einer neuen Gesellschaftsordnung oder Lebensentwürfen außerhalb vom Kapitalismus entworfen und debattiert. Aber niemals gab es einen positiven Blick auf unsere Art zu Leben. Kaum gab es ein Interesse daran, etwas von uns zu lernen. Im Gegensatz zu der individualistischen Kultur, wissen wir wie das Leben in Gemeinschaft organisiert werden kann. Wir verfügen über jahrtausendelang konserviertes Wissen, dass Euch sehr sehr nützlich sein könnte. Von daher freuen wir uns Compañeras, dass ihr hier seid und wir nun gemeinsam von einander lernen können!“
ja es ist paradox, traurigerweise liegt alles menschen gemachte im wesen der selbstzerstörung, selbst wenn wir neutral handeln werden wir immer ins negative gezwungen, so ist das nunmal, der einzige weg dies zu überwinden ist weiter zu machen, selbst wenn es einen das leben kostet, aber wir haben das universum hinter uns, das leben quasi auf unserer seite, das ist die einzige hoffnung ….
liegt im menschengemachten nicht beides, die kreation und die zerstörung? Ich würde nicht sagen, dass das menschengemachte zwangsläufig negativ ist.