„Soon I’ll find the right words, they’ll be very simple.“ – Jack Kerouac

03. April 2019- Palomino, Kolumbien
28.02. 2019 – Argentinien

Buenos Aires.
Es sind sechs Monat vergangen, seitdem ich das letzte mal hier war.

Lugares conocidos. Imágenes vivas.

Se despiertan en el mundo de los recuerdos.

Aqui estoy nuevamente. En el tren rojo.

Observando el dibujo caotico llamado „ciudad“

Ein Bilderstrudel aus Vergangenheitsfragmenten, die heute Teil meiner Gegenwart sind.

Velatropa existiert nicht mehr. Aber lebt weiter.
Vier Tage in Buenos Aires mit Nikita und Ksenia. Zwei Freund*innen aus Deutschland.
Plötzlich: der Blick aufs Datum. Es ist bereits Ende Februar und am 14. März wird mich Silvia, eine Freundin aus Italien, in Kolumbien besuchen kommen.
Zeit. Zeit. Zeit.
Dieses Konzept hat in den letzten Monaten (oder sind es schon Jahre?) keine Rolle mehr gespielt.
Aber jetzt wird sie real, diese Zeit.

Als Silvia den Flug vor ein paar Monaten gebucht hat, dachten Lisa und ich, dass wir im März sicher schon mindestens in Peru sein werden.
Sind wir aber nicht.
Zwischen Buenos Aires und Bogota liegen 7000 Kilometer.
Das ist ungefähr die selbe Distanz wie zwischen Deutschland und Indien.
Ich habe exakt zwei Wochen, um rechtzeitig oben anzukommen.

Am 28. Februar trampe ich los.

Weil ich sowieso durch den Norden von Argentinien trampen muss, schaue ich nochmal kurz bei einem Freund vorbei. Beim Yoga lerne ich Demis kennen. Er will auch nach Kolumbien.
Also machen wir uns zusammen auf den Weg.
Wir trampen los. Es läuft zäh. Ich werde ein bisschen ungeduldig. Aber alles gut.
Nach ein paar Stunden kommen wir erst wenige Kilometer hinter Resistencia an einer Tankstelle an.
Der Tankwart bietet uns an, dort zu übernachten. Aber kurz vor Sonnenuntergang finden wir doch noch einen Truck der direkt bis nach Chile durchfährt. Das sind 1424 Kilometer.

Unser Fahrer ist Brasilianer, er spricht nur wenig spanisch. Aber wir unterhalten uns trotzdem.
Laute brasilianische Musik dröhnt aus den Boxen. Das hält wach.
Irgendwann stoppen wir zum Übernachten an einer Tankstelle. Morgen früh um Vier soll es weitergehen.
Es ist Karneval. Alle sind betrunken.
Wir essen Fritten am Kiosk. Dann schlagen wir unser Zelt auf einem kleinen Fleck Wiese neben den Toiletten auf.
Vier Stunden Schlaf. Lautes Gegröle. Musik. Dröhnende Motoren.

Nächster Tag: Wir starten noch vor Sonnenaufgang.
Und fahren.
Fahren.
Fahren.
Bis wir Salta erreichen. Fast in Chile.
Der LKW Fahrer will hier die Nacht verbringen und setzt mir den Floh ins Ohr, dass ich vielleicht noch einen Truck ergattern kann, der mich heute noch mit nach Chile nimmt. Ich versuchs.
Hektisch packe ich alles zusammen. Verabschiede mich schnell von Demis. Viel zu überstürzt.
Einen Truck finde ich nicht mehr. Nur ein Auto, dass mich zum nächsten Dörfchen bringt.
Ich fühle mich wie ein Alien zwischen den bunt gekleideten Karnevalisten. Die Party ist im vollen Gange.
Als die Sonne untergeht, suche ich einen Unterschlupf für dieses Nacht.
Ich finde ein Versteck im Grünen. Neben einer Hotelmauer.

Am nächsten Morgen geht es weiter. Werde mitten in der Wüste an einer Kreuzung raus gelassen.
Gottverlassene Gegend.
Ein Auto hält an. Fünf Betrunkene Männer laden mich ein, mitzufahren. Ich lehne ab.
Nein danke.

Danach erst mal Stille.
Die Stille und ich.
Niemand weit und breit zu sehen.
Für eine halbe Stunde oder so.

Ich fühle mich verloren.

Irgendwann kommt ein Truck und nimmt mich mit bis zur Grenze. Weiter nicht. Weil ich nicht als Beifahrerin eingetragen bin. Die LKW-Firma will keine Beifahrerinnen.
Die Grenze ist irgendwo im Nirgendwo. Der Bulle im Kontrollhäuschen sagt, ich darf nicht Zu Fuß auf die andere Seite, sondern muss auf ein Auto warten, dass mich mitnimmt.
Ich kann es nicht glauben. Ich diskutiere. Demonstriere. Keine Chance.
Die Richtlinien wollen es so.

Ich warte vier Stunden. An der kleinen, schäbigen Tankstelle treffe ich Jolanda auf dem Klo. Eine Truckerfahrerin, die schon zwei Tage vor der Grenze hängt, weil sie irgendwelche Papiere regeln muss.
Und draußen stoße ich auf einen Reisenden, mit weißem Bart und müden Augen, der seit ein paar Wochen hier hängt, weil sein Bus kaputt ist. Der Reisende bietet mir Trauben an. Jolanda steht auch dabei. Die Gestrandeten. So stehen wir hier und essen Trauben zusammen. Wir sprechen uns Gegenseitig aufmunternde Worte zu.

Ohne die beiden wäre ich verzweifelt.

Dann kommt doch noch ein Auto an der Zapfsäule an. Eine Familie aus Buenos Aires. Sie nehmen mich mit über die Grenze.

05.03.2019- CHILE

In San Pedro de Atacama in Chile wartet Annie schon auf mich. Ich komme an.
Bei einem Gemüsehändler frage ich nach Obst und Gemüse, das er sonst weggeworfen hätte. Er gibt mir Bananen, Möhren, Kartoffeln, Trauben.
Auf dem Hauptplatz treffe ich Annie: Sind es wirklich schon zwei Wochen her, seitdem wir uns in Mendoza verabschiedet hatten? Wie schön dich wieder zu sehen.
Pure Liebe.

Wir kaufen uns ein Bier und gehen ein Stück raus aus dem Dorf. Dahin, wo die Lichtverschmutzung nicht den Sternenhimmel verdeckt. Intensiv und grell leuchten die Sterne hier draußen.
In dieser scheinbar unendlichen Wüste.

Nachdem wir die Nacht ganz entspannt bei einem Couchsurfer verbracht haben, geht es los.
Annie will mit mir Richtung Kolumbien trampen.
Es ist der 6. März.
4848 Kilometer bis Bogota.

Wir haben noch acht Tage Zeit.

Aus San Pedro kommen wir schnell raus.
Eine Frau hält an. Lässt uns in der nächsten Stadt raus. Von dort weiter mit zwei Trucks bis wir an einer Kreuzung mitten im Nirgendwo ankommen. Der Truck biegt nach Links ab. Wir müssen in die andere Richtung.

Heiß hier draußen.
Brühend Heiß.
Die Sonne knallt erbarmungslos auf uns herab.

Dann hält ein Bus. Der Fahrer steigt aus und packt zielstrebig unsere Rucksäcke in den Stauraum.
Warte, nicht so stürmisch. Wir reisen per Anhalter! Er nickt nur kurz. Winkt uns in den Bus: Nehmt Platz!
Wir sind ganz verdattert und können unser Glück kaum glauben. Hatte er uns richtig verstanden?
Acht Stunden fahren wir in dem klimatisierten Bus bis zur Grenze zu Peru.
Es gibt sogar noch ein Mittagessen gratis dazu.
Ein Geschenk des Universums.

In dem Grenzstädten Arica finden wir das Grundstück von Consuela. Ein großes Grundstück. Genug Platz, um unser Zelt dort aufzuschlagen. Wir klingen, fragen nach einem Unterschlupf und werden freundlich aufgenommen. Sie lebt hier ganz alleine mit ihrem kleinen Säugling und ist froh über unseren Besuch.
Sie erzählt uns von ihrem Leben in der Schweiz und dass sie mal ein großes Haus in den Bergen hatte.
Wir reden. Über das Leben. Die Vergänglichkeit.
Sie lässt uns duschen und ihre Küche benutzen. Unser Zelt steht draußen im Garten.
Wir haben es uns gerade gemütlich gemacht, als die kleine Katze plötzlich eine große Freude daran findet, das Zelt von Außen anzugreifen.
Wir versuchen uns von innen gegen die Angriffe zu wehren, aber das bringt sie nur umso mehr in Fahrt.

07.03.2019- PERU

Am nächsten Tag weiter Richtung Lima. Über die Grenze mit einem Auto bis zur nächsten Stadt.
Dann mit einem Büsschen voll Männern bis zu einem Kaff mitten im Nirgendwo.
An der Muttergottesfigur, deren Dach uns vor der Sonne schützt, warten wir.
Warten.
Warten.
Warten.
Bis wir einen Bus nehmen, weil wir sonst hier verrottet wären.
In der nächsten Stadt finden wir ein Truck, der nach Lima fahren wird.
Wir fahren bis Mitternacht, bis wir irgendwo an einer Mautstation, wo die Truckies übernachten, anhalten und dort neben der Leitplanke unser Zelt aufschlagen.
Zwischen Pissegeruch und brüllenden Motoren verbringen wir die Nacht, bis es am nächsten Tag weiter geht.

Wir fahren bis Nachmittags um drei. Dann ist Fahrerwechsel: Richard steigt ein. Er stellt uns tausend Fragen und wir sind so tief in die Gespräche über Gott, Liebe und unterschiedliche Weltanschauungen vertieft, das wir gar nicht merken wie die Zeit verfliegt. Dann erreichen wir Lima. Diese abgerockte, chaotische Großstadt.
Es ist schon spät.
Längst Nacht.
Zu risikoreich, um vom anderen Ende der Stadt noch weiter zu trampen.
Also nehmen wir einen Bus nach Chiclayo. Nach zwölf Stunden kommen wir an.
Von hier aus dauert es wieder Ewigkeiten, bis wir weiter kommen.
Bis uns ein Bus einsammelt, der bis auf Fahrer und Beifahrer komplett leer ist. Kaum eingestiegen, bekommen wir zwiespältige Kommentare und schmierige Blicke zugeworfen. Einer sagt: Die Busfahrt ist natürlich nicht umsonst. Wir wüssten schon…
Das lassen wir uns keine Minute gefallen. Ich fordere mit Bestimmtheit, sofort die Türen zu öffnen und uns raus zu lassen. Sofort!
Zum Glück hält er an und öffnet die Tür.
Dieser verdammte Sexismus.
Diese quälende Selbstverständlichkeit.
Diese scheinbare Überlegenheit.
Und bestimmt werden manche sagen: „Kein Wunder, wenn Ihr da einfach in diesen Bus einsteigt“

Wir laufen zu Fuß zur nächsten Tankstelle. Hier hängen wir eine ganze Zeitlang rum. Die Sonne geht fast unter.
Sollen wir hier pennen oder weiter trampen?
Der Parkwächter meint, dass sich heute Abend bestimmt noch ein LKW Richtung Ecuador aufmacht.
Gegen Neun verlässt dann wirklich noch einer das Gelände. Wir steigen ein.
Bisschen merkwürdiger Typ. Unangenehm.
Was ist denn heute los?
Kurz vor Mitternacht halten wir an einem kleinen, schäbigen Restaurant an. Mitten im nirgendwo, wo nur Truckies und irgendwelche schräge Gestalten rumhängen.
Alles Männer, die uns gierig anstarren.
Rechts und links neben dem Restaurant verschwindet die Straße im dunklen Nichts. Ein beklemmendes Gefühl überfällt mich. Das hatte ich wirklich schon lange nicht mehr.
Ich weiß, dass wir hier auf keinen Fall die Nacht verbringen können.
Das wäre zu gefährlich.
Zum Glück finden wir noch ein Auto, dass uns mit zur Mautstation nimmt.
Dort schlagen wir das Zelt auf. Hier haben die Bullen unser Zelt im Blick.
Nicht nur das Zelt.
Ich frage nochmal: Was ist denn los heute?

10.03.2019 – ECUADOR

Am nächsten Tag weiter.
Step- by- Step zur ecuadorianischen Grenze. Es läuft zäh. Aber es läuft.
In Ecuador angekommen, sammelt uns ein Kleintransporter ein, der die ganze Nacht durchfahren wird.
Unser Gepäck verstaut der Fahrer hinten auf der Ladefläche, die voll mit Zwiebeln ist. Der Geruch hängt immer noch an meinem Rucksack.
Wir quetschen uns in die enge Fahrerkabine. Schlafen im Sitzen.
Es folgen: Achtzehn Stunden Autofahrt. Non-Stop.
Die Motorengeräusche haben sich inzwischen wie ein Mantra in meine Hirnwindungen eingebrannt.
Um zwei Uhr Nachts wache ich auf. Wir stehen still. Der Motor läuft noch.
Unser Fahrer liegt schlafend mit dem Kopf aufm Lenkrad.

Dann: Am 11.3 erreichen wir Quito. Back in town.
Von hier aus hatten wir letztes Jahr unser Kanuabenteur vorbereitet.
Merkwürdig, wieder hier zu sein.
Annie und ich trennen uns. Sie bleibt noch ein paar Tage.

Ich trampe weiter.
Tausendeinhunderteinundzwanzig Kilometer liegen noch vor mir.
Fast geschafft.

12.03.2019- KOLUMBIEN

Bis zur Kolumbianischen Grenze komme ich ganz schnell.
Kolumbien. Es ist der 12. 3. Und so wie ich die Straßenverhältnisse in Kolumbien in den Erinnerungen von letztem Jahr abgespeichert habe, brauche ich hier für 200 Kilometer fünf Stunden.
Trampen könnte zu knapp werden.
Außerdem bin ich müde. Ausgelaugt. Erschöpft.
Die letzten 934 Kilometer werde ich also einen Bus nehmen. So jedenfalls der Plan.
Entspannt lasse ich mich in den Bussessel fallen.
Ruhe. Keine Gespräche führen müssen. Niemanden bei Laune halten.
Es gibt sogar einen kleinen Bildschirm im Sitz, mit dem ich mir Filme anschauen könnte, wenn ich wollen würde. Will ich aber nicht.
Ich schaue aus dem Fenster.
Lasse mich von meinen Gedanken treiben.
Bilder aus den letzten Tagen rauschen vor meinem inneren Auge vorbei.
Dann schlafe ich ein.
Ich wache auf, weil ich merke dass der Bus plötzlich anhält. Oder schon seit einiger Zeit still steht.
Sind wir schon da?
Es ist stockdunkel draußen.
Wir sind in Popayn. Hier endet die Fahrt.
Die Panamericana zwischen Popayan und Cali wird blockiert. Der Verkehr steht still.

Vielleicht öffnet sich die Blockadein den nächsten Stunden. Es könnten aber auch Tage werden.
Alle hoffen noch. Also warte ich auch noch ein paar Stunden.
Lerne den wunderbaren Menschen kennen, der sich mir nie mit Namen vorgestellt hat. Wir vertreiben uns gemeinsam die Zeit.
Er liest von Büchern immer nur jeden zweiten Satz oder liest eine Seite von unten nach oben, statt von oben nach unten. So würde er dem tieferen Sinn und der wahren Absicht der Schreibenden auf die Spur kommen.
Seine Lieblingszahl ist acht.
Zahl der Unendlichkeit. Der Vollkommenheit.
Mit einer Skizze versucht er mir in das Geheimnis der Nummer „Acht“ nahe zu bringen.
Wir unterhalten uns ohne Pause.

Immer noch auf dem Busparkplatz. Die Zeit rennt.
Es ist der Morgen des 13.3.2019 und ich bin immer noch knapp 700 Kilometer von Bogota entfernt.
Niemand weiß, ob die Blockade in ein paar Stunden, Wochen oder Monaten aufgelöst wird.
Der Busfahrer sagt, wenn ich irgendwie nach Neiva komme, kann ich von dort aus mit der selben Busfirma wieder weiter nach Bogota fahren.
Bis Neiva sind es dreihundert Kilometer. Über schlecht ausgebaute Straßen.
Ich trampe los. Schotterstraßen. Kaum Verkehr.
Nach zwölf Stunden (für 142 Kilometer) komme ich in in La Pata an.
Es ist wieder stockdunkel. Ich nehme einen Bus nach Neiva.
Auch hier: Straße dicht. Diesmal ein Unfall. Wirklich wahr?
Während die einheimischen Fahrgäste ganz entspannt sind, würde ich am liebsten ausrasten.
ICH BIN MÜDE!
Es ist zwei Uhr Nachts als wir im Busbahnhof von Neiva ankommen.
Zum Glück fahren regelmäßig Busse nach Bogota.
Einen davon nehme ich.

Am 14. 3. komme ich um 6 Uhr Morgens in Bogota an.
Acht Stunden später hole ich Silvia am Flughafenterminal ab.

Das war knapp.

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