Ihr seid in vier Jahren ohne Flugzeug von Deutschland bis nach Mexiko gereist, was war eure ungefähre Route und wie wart ihr unterwegs?
Julia: Von Deutschland aus trampten wir Richtung Süden, segelten per Anhalter über den atlantischen Ozean, wurden kurzzeitig zu Millionärinnen in Venezuela, tauchten mit unserem Holzkanu in die Welt des Amazonas ein, trampten bis ans Ende der Welt nach Feuerland und machten uns durch die patagonische Wildnis zu Fuß auf den Weg gen Norden. Auf einem Fischerboot umschipperten wir den berüchtigten Darién Gap, trampten weiter durch Mittelamerika bis Guatemala, lernten unsere neue Begleiterin Hündin Nami kennen, bauten uns Fahrräder aus alten Ersatzteilen und radelten damit bis nach Mexiko.
Lisa: Eineinhalb Jahre verbrachten wir dort, und im März 2020 mussten wir dann feststellen, dass unser Plan, durch die USA zu reisen und dann die Beringsee zu überqueren, wegen der Pandemie nicht länger möglich war. Wir blieben also in Mexiko, und nachdem ich Mama geworden war, beschlossen wir im August 2021, wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Unterwegs wart ihr auf der Suche nach „gelebten Utopien“, was bedeutet das?
Julia: Utopie ist gemeinhin ja ein Begriff für den Entwurf einer besseren Zukunft, ein Ort, der noch nicht existiert. Wir haben uns auf die Suche nach Menschen gemacht, die ihre eigenen Utopien bereits umgesetzt haben, inspirierende kleine Inseln und Gegenentwürfe zu unserer heutigen Weltordnung schaffen, deswegen „gelebte Utopien“. Das umfasst viele verschiedene Bereiche wie zum Beispiel das Leben in Gemeinschaft, Bauen mit natürlichen Materialien, eigene Herstellung von Lebensmitteln, alternative Bildungskonzepte, achtsame Kommunikation und vieles mehr.
Lisa: Konkret haben wir Orte wie Ökodörfer, Kollektive, Bewegungen und Gemeinschaften besucht, die aus unserer Perspektive Impulse, Ideen, sehr praktische und greifbare Lösungen für eine bessere Welt vorschlagen. Darüber hinaus wollten wir selbst experimentieren, wie wir unsere eigene Utopie auf dieser Reise leben können: Wir wollten versuchen, ohne Flugzeug um die Welt zu kommen, und unsere Lebensmittel haben wir meist auf regionalen Märkten eingekauft oder gerettet, das heißt Reste verwertet, die sonst im Müll gelandet wären. Unsere Klamotten haben wir im Secondhandladen gekauft, und wir haben, so weit es geht, auf Plastik verzichtet. Wir wollten möglichst kleine Spuren hinterlassen, was manchmal gar nicht so einfach ist.
Julia: Schon vor der Reise war es unser Traum, in einer Gemeinschaft oder autark auf dem Land zu leben. Während der Reise haben wir vieles gelernt, was wir hoffentlich bald an einem schönen Ort umsetzen und mit anderen Leuten teilen können.
Wie habt ihr die Gemeinschaften gefunden?
Julia: Das war ganz unterschiedlich. Manchmal haben wir spontan Kontakte bekommen, zum Beispiel beim Trampen oder in einem Projekt für das nächste. Es gibt aber auch viele Webseiten und Netzwerke, die Informationen zu Ökodörfern weltweit geben, zum Beispiel das Global Ecovillage Network (GEN), Foundation for Intentional Community (FIC), NuMundo oder EcoBasa. Wir haben auf unserer Website unter „Learning and Sharing“ eine Liste erstellt, für alle, die daran interessiert sind.
Wie habt ihr die Reise finanziert? Wie viel Geld habt ihr gebraucht?
Lisa: Ein paar Tage nachdem die Idee zur Reise geboren war, haben wir fast alle unsere Einnahmen auf ein Gemeinschaftskonto überwiesen. Damals haben wir noch studiert und nebenbei gearbeitet, Julia als Altenpflegerin und ich als Fotografin. Wir haben ein Spiel daraus gemacht, und am Ende des Monats immer gefeiert, wenn wir wieder ein paar Euro mehr hatten. Zum Reisebeginn waren es dann um die 10.000 Euro. Damit sind wir drei Jahre gereist, haben also durchschnittlich 140 Euro im Monat pro Person ausgegeben. Manchmal war es auch ein bisschen mehr, denn wir haben unterwegs Artikel geschrieben und wurden von unserer Familie, Verwandten und befreundeten Menschen mit kleinen Spenden unterstützt.
Julia: Und unsere Eltern haben die Reisekrankenversicherung übernommen. Dafür sind wir sehr dankbar! Wir wollten mit so wenig wie möglich auskommen und so viel wie möglich nutzen, was sonst ungenutzt geblieben wäre, wie zum Beispiel freie Sitze von Autos, die sowieso fahren. Aber es ging nicht unbedingt darum, Geld zu sparen, sondern wir waren durch diesen Reisestil so viel näher an den Menschen dran und intensiver mit unserer Umgebung verbunden. Das war eine wunderschöne Erfahrung.
Wie sah euer Alltag aus?
Julia: Den gab es nicht. Jeder Tag war eine neue Überraschung, und wir haben uns meist in den Alltag der Projekte eingefügt, die wir besucht haben. Wenn wir unterwegs waren, gab es eine Art Routine: Für lange Strecken haben wir versucht, morgens recht früh aufzustehen und den Tag bis zum Sonnenuntergang zu nutzen. Abends haben wir dann einen Platz zum Schlafen gesucht, Lisa hat für uns beide gekocht, und ich habe das Zelt aufgebaut und alles gemütlich eingerichtet. Entweder haben wir nach dem Essen noch eine Weile draußen gesessen und uns unterhalten, oder wir sind ins Zelt gekrochen und haben gelesen oder geschrieben. Das Frühstück habe ich dann zubereitet, und Lisa hat die Schlafsäcke eingerollt. Zeltauf- und abbau war meine Aufgabe, das konnte ich irgendwann sogar mit geschlossen Augen.
Welchen Einfluss hatte die Adoption eurer Hündin Nami auf eure Reise? Und bei wem lebt sie jetzt?
Lisa: Dass Nami uns begegnet ist, war ein großes Geschenk. Wir sind unglaublich dankbar, dass sie mit uns mitkommen wollte.
Julia: Nami hat ein wundervoll einfühlsames und achtsames Wesen. Sie war und ist überall mit dabei, ob beim Trampen, Trekken, Tango-Tanzkurs, auf Festen, beim Fahrradfahren – wirklich überall. Nur manchmal gab es kleine Einschränkungen, zum Beispiel, wenn wir keine hundefreundliche Unterkunft fanden oder keine Langstreckenbusse nehmen konnten. Aber da das sowieso nur ganz selten vorkam, war es kein großes Drama. Nami lebt heute bei mir, das hat sich vor allem wegen Lisas neuer Familie so ergeben. Sie ist meine Seelenfreundin geworden, und wir beide erkunden auch heute noch zusammen die Welt.